Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Steht in der Reihe von Calvin, Luther, Bonhoeffer, Karl Barth. Karl Barth selbst hat über ihn gesagt: An die Spitze der der Theologie der neuesten Zeit gehört und wird für alle Zeiten gehören der Name Schleiermacher und keiner neben ihm. Und, obwohl er ihn sehr kritisch analysiert kann er sagen: Wir haben es mit einem Heros zu tun, wie sie der Theologie nur selten geschenkt wird.
Wikipedia: Er war nicht nur evangelischer Theologe, sondern auch Altphilologe, Philosoph, Publizist, Staatstheoretiker, Kirchenpolitiker und Pädagoge. In mehreren dieser Wirkfelder wird er zu den wichtigsten Autoren seiner Zeit, in einigen auch zu den Klassikern der Disziplin überhaupt gerechnet. Er übersetzte die Werke Platons ins Deutsche und gilt als Begründer der modernen Hermeneutik (Kunst des Verstehens)
Vorab: Im folgenden hab ich mich sehr stark an einen Vortrag von Thorsten Dietz orientiert (Worthaus: Glaube und Gefühl); Übersetzungshilfe! Schleiermachers Ausführungen sprachlich schwer zu verstehen.
Nun zu ihm: Einleitend und zusammenfassend kann man sagen: Schleiermacher war wie kein anderer Theologe in seiner Zeit im Gespräch mit seiner Zeit. Er war im starken Dialog mit den modernen Denkern der damalige Zeit.
Sein Grundthema Gefühle sind wesentlich für den Glauben. Und Frömmigkeit ist eine Bestimmtheit des Gefühls. Es ist das Zentrum. Das Gefühl ist das Bestimmende des Glaubens. Gefühle fußen auf Sinnlichkeit und Wahrnehmung – er sagt: auf Anschauung.
Das ist für reformierte Ohren gewöhnungsbedürftig – allein das Wort hier von der Mitte der Kirche der Kanzel.
Zunächst zu seiner Vita: 1768 geb. – 1834 Tot – Irre Zeit: Goethe, Schiller – und zwar live dabei. Frankreich Revolution, Napoleon, spannende Zeit.
Vater war reformierter Pfarrer – hätte Spaß an dieser Kirche, später Herrnhuter Pietismus: Losungen: Zinsendorf. Die Welt mit ihrer Aufklärung für Vatern: ganz schlimm. Der kleine Friedrich: Herrnhuter Schule und auch zum Theologiestudium: eine Herr:nhuter Schule: Alles ganz fromm. Aufklärung: böse.
Er gerät in Schwierigkeiten. Einerseits muss man tief fühlen: so eine tiefe Freudigkeit: man weint, wenn die Leiden Jesu beschrieben werden. Und wenn nicht, ist man nicht fromm genug und außerdem muss man glauben: Jesus: wahrer Gott- wahrer Mensch- für uns gestorben, stellvertretendes Strafleiden und vieles Mehr: er stellte dazu viele Fragen: ich versteh das nicht so ganz. Antwort: darf man nicht hinterfragen – Es ist eben Geheimnis:
Ich selbst, wenn du Theologie studierst fällst du vom Glauben ab – schlimm. Und genau das sagt ihm auch sein Vater, als er ihm schreibt, dass er Fragen hat. Lies bloß nicht religionskritische Bücher – gehörten eigentlich in den Giftschrank. Nichts was Zweifel sät, weg damit – führt weg vom Herrn. Einmal falsches Buch gelesen, falscher Podcast…. Finger weg.
Schleiermacher antwortet: ich brauche Antworten –und er will weg von Herrenhut. Ich will nach Halle – zur Uni. Entzieh mir nicht den Segen und die finanzielle Unterstützung.
Vater is not amused. Du hast dich abgewandt vom Herrn, hast alles verraten, was wir dir beigebracht haben: persönl. Bruch: die beiden sehen sich nie wieder, auch wenn er sich seinem Vater verbunden wusste. Schleiermacher liest alles: Kant und andere verbotenen Bücher: Spinoza. Lessing. Er marschiert durch – ohne Gott. Wir befinden uns in den 90er Jahren: Mozart, Fichte, Schelling, Hegel, Voltaire…. Zeit der Romantiker. Er liest die nicht nur sondern erlebt sie: Er lebt mit Schlegel in einer WG. Ab 1796 war er so nebenbei Prediger an der Charité in Berlin. Das Nachtleben fand im Salon oder in der Mittwochgesellschaft statt: romantische Literaturkreise. Lyrik: man diskutiert und tauscht sich aus: oh eine neuer Brief von Goethe, Musik, viel trinken: am nächsten späten Nachmittag bevor Aldi zumacht, steht man auf.
Schleiermacher kann gut mitdiskutieren: Und man sagt ihm: du bist ein schlauer Kopf aber wir haben noch nichts von dir gelesen. Eine kleine Herausforderung. Und er beginnt sich in dieser Zeit mit Religion zu beschäftigen: Es gab eine Phase ohne Gott, aber nicht ohne Religion , es hat mich wieder eingeholt: 1798/99 Reden über die Religion. Alle lesen sie – auch Goethe (Hausgott). Alle fanden es wichtig. Manche fanden es toll (Novalis).
Mal im Kurzlauf: Er wird 1804 in Halle Prof. und später Neubegründung der Berliner Uni: führender Theologe der reformierten Theologie (Glaubenslehre 1823 – wichtigste theol, Werk): Zwischen Calvins Institutio und K. Barhs Kichl. Dogmatik ist es das theolg. Werk schlechthin. Ab 1817 als Präses der Vereinigten Berliner Synode, der an vorderster Stelle für die Einführung einer presbyterial-synodalen Kirchenverfassung kämpfte (Konflikte mit Friedrich Wilhelm dem 2.- der wollte das nicht: zu wenig preußsich -zu demokratisch) Schleiermacher wurde sogar aufgrund seiner kritischen Haltung zeitweise von der Polizei bespitzelt und überwacht. Interessant noch dass einer seiner Konfirmanden Otto von Bismarck hieß. Na mal sehen, was mal einer meiner Konfirmanden wird.
Um es kurz zu machen: Schleiermacher starb am 12. Februar 1834 an einer verschleppten Lungenentzündung.
Er versucht die Sprache der Intellektuellen zu sprechen zu Leuten, die der Kirche den Rücken gekehrt haben: Damals waren die Kirchen leer und die Theater voll.
Sein Text heißt: Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Religion – der christliche Glaube stand unter den gebildeten nicht hoch im Kurs. Denn es ist eine Schande, dass ihr noch richtig verstanden habt, worum es bei Religion geht. Ihr habt da was verpasst.
Was ist Religion: weder Moral (das sollst du tun und das lassen) noch Metaphysik – vernünftige Weltanschauung (Gott, die Schöpfung und das Ende der Zeit).
Religion ist weder Denken und Handeln, sondern Anschauung, ist Gefühl, ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit – so sagt er später in seiner Glaubenslehre.
Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche.
Und keine Bildung ohne religiöse Bildung
Religion ist nicht individualistisch – sondern Religion braucht Geselligkeit.
Kirche und Staat muss getrennt sein: Religion darf nie unter Druck geschehen. Religion braucht die: wechselseige Anregung. Brüdergemeinde und der romantische Salon prägten die Einsicht: alle dürfen in Freiheit sich äußern – ohne Zwang – ohne dass da oben diktiert was richtig oder falsch ist. Und gerade damit legte er sich eben mit König Friedrich Wilhelm, der am liebsten die Aufklärung verboten hätte, diese ganze Religionskritik: Wir brauchen die Religion als Kit für die Gesellschaft und Kirche als moralische Instanz. Ohne den strafenden Gott, ohne den christlichen Glauben macht ja jeder was er will. Wir würden heute sagen: jo, das stimmt auch – zum gewissen Grade.
Doch er möchte den Glauben nicht verteidigen gegen das moderne Denken der Aufklärung. Kants Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit: ist gut. Es ist fatal, wenn wir Religion retten wollen, indem wir sagen: alles was in der Bibel steht, musst du glauben: da steht alles drin, was biologisch naturwissenschaftlich usw. wichtig zu wissen ist.
Und das 2. Religion ist weit mehr als Moral. Religion ist gut, weil sie zweckfrei in sich und für sich wahr ist. Nicht weil sie nützlich ist – eben als Mittel zum Zweck. Schleiermacher sagt mit I. Kant: für gutes Handeln braucht man keinen Glauben – das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Auch heute: es gibt so viele Menschen, die mit Jesus nix am Hut haben und dennoch Gutes tun, einfach: ich helfe, weil ich helfen möchte…. Ist für mich selbstverständlich, ist einfach richtig. Schleiermacher: Es ist doch schlimm, wenn wir Gutes tun, nur weil Gott es will, weil ich damit vor Gott glänzen möchte, nein, sondern tue Gutes, weil es gut ist, weil es gut tut – aus Mitleid.
Das Interessante ist nun, dass er zwar einerseits gut die Erkenntnisse der Aufklärung verteidigen konnte, aber er hatte nicht wie andere Theologen das Bestreben: wir müssen die reine Vernunft und die praktische Vernunft (I. Kant) mit dem christlichen Glauben verbinden und am besten davon herleiten. Christlicher Glaube als reine Kopfsache.
Schleiermacher sagt: Religion ist doch keine Grübelkiste in der Birne, sondern Religion ist in erster Linie Gefühl. Der Glaube ist doch keine Vernunftgeschichte sondern eine Gefühlssache und dann beschreibt er einzelne relig. Gefühle.
Ehrfurcht und Demut – gegenüber der Welt (Oberhausen Gasometer: Hubbard Teleskop: Blick in die Sterne und schwarzen Löcher betrachtet: Hammer!) Ich betrachte das Universum und in mir durch diese Anschauung und sinnliche Wahrnehmung wird die Ehrfrucht geweckt vor der Schöpferkraft Gottes. Eben nicht: ja – das ist ja alles auch interessant und diese Instrumente – und ja wenn man das mal mathematisch durchrechnet: alles nüchterne Erkenntnis – sondern großes Ehrfurchtsgefühl. Und diese Ehrfurcht macht andererseits demütig: gegenüber dem Weltall muss ich sagen: wer bin ich schon in diesem großen Weltall. Wir sind doch alles arme kleine Würstchen unter lauter andren armen kleinen Würstchen, nur die meisten davon sind um die Erkenntnis blind, dass sie auch nur arme kleine Würstchen sind.
Demut: als Reaktion der Ehrfrucht: = Religion – er würde mit uns heute vielleicht auch Spiritualität nennen.
Oder er nennt die Zuneigung als rel Gefühl: Grundverbundenheit mit seinen Mitmenschen.
Er nennt die Dankbarkeit als religiöses Gefühl. Wofür wir nicht alles dankbar sein können. Dieses Gefühl der Dankbarkeit ist Religion.
Oder das Gefühl des Mitleidens und Mitgefühls- der Barmherzigkeit: es tut einem leid, wenn wir Dinge sehen, die uns nachgehen – wir trauern mit.
Diese Gefühle sind alle deshalb religiös, weil man sie nur schlecht einfordern kann: jetzt sei doch mal ehrfurchtsvoll, wenn du die Alpen siehst. Oder sei doch mitleidig, sei doch mal dankbar. Das wäre nicht echt – wäre erzwungen. Nein, diese Gefühle sind religiös, weil sie es Erfahrungen der Ergriffenheit sind. Zitat: Alles Anschauen geht zurück auf einen Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden.
Oder: auch Zitat: Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche (wir würden Gott sagen). S. redet vom Unendlichen, vom Universum. Jetzt könnte man vermuten: ja redet er da nicht so nach dem Motto: jeder darf irgendetwas Religiöses glauben – Hauptsache er und sie ist religiös in Schwingung. Irgendwie lösen ja alle Religionen auch religiöse Gefühle aus – ist doch auch gut.
Nein: Schleiermacher es gibt keine allgemeine Religion. Religion ist immer konkret. Und warum ist das Christentum die entscheidende: er bündelt alles in seiner 5. Rede. Christus und das Kreuz.
Freie Spiritualität ist ein Irrtum. Ihr denkt: frei vom kirchlichen und biblischen Denken Religion denken zu können, das bedeutet Freiheit. Irrtum: denk doch mal nach: alles was Du unter Religion denkst: ist doch letztlich geprägt von deiner Biographie, deiner christlichen Prägung, deiner Geschichte.
Das Christentum kann alle religiös wichtige Themen verknüpfen, weil es alles abdeckt: Gottheit und Menschheit: Schuld Böse und Gewalt: Liebe und Verzeihen. Im Christentum vermischen sich Verlust mit Liebe- ganz deutlich im Kreuz. Das Kreuz ist in die große Geschichte des Universums gestellt.
Christentum ist sowohl die konkreteste als auch die universellste Religion.
Was können wir von Schleiermacher mitnehmen: Die Betonung des Gefühls als eine unverfügbare Ergriffenheit. Ergriffenheit kann man nicht erzwingen. Ja, mein Glaube muss sich auch in meinen Gefühlen ausdrücken: ich lese gerade einen Krimi. Eine Frau ist total von der Rolle aus lauter Trauer über den Verlust der Ermordeten und sie streitet mit ihrem Mann, weil er sie trösten möchte – bis er ihr sagt: Was ist denn mit deinem Glauben und der Hoffnung auf das Leben nach dem Tod. Und dieser Hinweis hilft ihr sich zumindest wieder aufzurichten.
Und sicher gibt es noch viele andere Gefühle: Gottesdienste, die Musik, der Segen, die Gemeinschaft. Sein christlicher Glaube ist auf Gemeinschaft ausgerichtet. Schleiermacher hat sicher das von Zinsendorf und Herrenhut. Ohne Gemeinschaft ist mein Glaube wie eine glühende Kohle, die man herausnimmt aus der Glut der anderen Kohlen – sie wird schnell verglimmen.
Und: Keine Angst vor Wissenschaft vor keinen vernünftigen Büchern. Immer mit dem Wissen: auch Wissenschaft liefert immer nur vorläufige Ergebnisse insbesondere bei ihren Theorien. Die Quantenmechanik – und das Beschreiben eines Atoms- letztlich der Materie muss einen eigentlich auch ehrfürchtig und demütig machen. Redliche Wissenschaftler dürften die Möglichkeit von Wunder demnach nicht ausschließen.
Zum Schluss möchte ich mich aber auch kritischen Tönen anschließen. Karl Barth sah die Gefahr, dass Schleiermacher die Wahrheit des christlichen Glaubens vom Gefühl abhängig macht. Nur das ist von Relevanz, was sich in mir – in meinen Gefühlen widerspiegelt. Doch diese Wahrheiten gelten ja auch dann, wenn ich eben nicht diese Gefühle habe. Für mich muss die Einsicht, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des Evangeliums Vorrang haben. Die Wahrheit des Evangeliums bestimmt dann auch meine Gefühle – aber nicht umgekehrt nicht meine Gefühle bestimmen die Wahrheit des Evangeliums.
Schließen möchte ich aber mit einem Satz Schleiermachers, der m.E. nicht aktueller sein könnte:
„Sobald man die Gesellschaft nur als Mittel für den Egoismus braucht, muß alles schief und schlecht werden.“
―Friedrich Schleiermacher
Gehalten von Pfarrer Thomas Schorsch am 17.08.2025 in der Evangelischen Kirche Gräfrath
