von Pfarrer Christof Bleckmann, erschienen am 30.08.2024 im Solinger Tageblatt:
Liebe Leserinnen,
liebe Leser,
Am vergangenen Montag, drei Tage nach der tödlichen Messerattacke beim Stadtfest, rief eine mir unbekannte Frau aus dem Saarland an. Sie kondolierte mir zu dem schrecklichen Geschehen: „Ich wünsche Solingen viel Kraft, das zu bewältigen.“ Sie hatte einfach das Bedürfnis, ihre Anteilnahme auszudrücken. Sie dachte, ein Solinger Pfarrer wäre wohl die richtige Adresse.
Ich finde gut, dass Menschen auch außerhalb von Solingen echt mitempfinden. Die Anruferin hatte über die Medien viel erfahren und wollte irgendwie reagieren. Sie rief merklich nicht aus reißerischem Interesse an. So etwas gibt es ja leider auch. Ich nahm ihre Grüße entgegen und gebe sie auch hier in dieser Andacht an Sie weiter.
Auf die Messerattacke sprach die Anruferin mich als Solinger an. Dabei stockte ich etwas. Keine schöne Berühmtheit! Aber ich schäme mich nicht für Solingen. Ich weiß, dass manche das tun. Manche fragen, warum schon wieder in Solingen schlechte Nachrichten entstehen. Aus der politischen Diskussion höre ich, man müsse jetzt die richtigen Maßnahmen „nach Solingen“ ergreifen. „Nach Solingen …“: als könnte man so differenzierte Probleme wie Gewalt, Flucht und Asylrecht in zwei Worte fassen.
Ich meine: Die Messerattacke hat mit unserer Stadt nur insofern zu tun, als sie hier geschehen ist. Es hätte auch an jedem anderen Ort sein können. Die Warnungen vor Terrorakten in ganz Deutschland und Europa gab es seit langem. Ich sehe nicht, dass aus Sicht von Attentätern ausgerechnet Solingen ein herausragend geeignetes Ziel wäre. Deren Botschaft, so böse und zynisch sie ist, lautet: „Es kann euch überall treffen.“ Leider stimmt das. Verbrechen geschehen. Sie zu verhindern, ist eine große Leistung. Manchmal kann kein Mensch das aufhalten. Es bleiben Risiken.
Wie leben Sie damit? Gehen Sie in Deckung? Verzichten Sie auf Feste und Gemeinschaft? Oder werden Sie einfach nur aufmerksamer und hoffen, dass schon alles gut geht? Ich selbst schwanke: zwischen Trotz („Jetzt erst recht!“), stoischem Gleichmut („Es kommt, wie es kommt.“) und Vertrauen („Mein Leben ist in Gottes Hand.“). Ich probiere aus, was mir gegen die Angst hilft. Mir tut es gut, mich als Teil einer Gemeinschaft in dieser Stadt zu sehen, in der es gegenseitige Achtung, Vorsicht und Schutz, Solidarität, Nothilfe und Trost gibt. Ich möchte nicht in Selbstmitleid verfallen. Solingen bleibt eine interessante und leistungsfähige Stadt mit wunderbaren Menschen. Zurecht haben Politiker und auch Superintendentin und Präses den Einsatz von Rettern und Helfern gelobt. Auf Menschen und Institutionen, die im Notfall helfen, können wir stolz sein. Sie und alle, die jetzt empathisch, vernünftig und besonnen bleiben, sind das Beste, was Solingen hat.
Solingen ist eine Stadt mit so vielen friedliebenden und zum Frieden fähigen Menschen. Das lebendige Miteinander sollte jetzt umso mehr von uns allen weiterentwickelt werden. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!“, heißt es in der Bibel (Römerbrief 12, 21). Das ist unsere Aufgabe und Chance – auch jetzt. Schärfer als jedes Mordwerkzeug in Verbrecherhand ist es, Bösem mit Gutem zu begegnen und es so zu überwinden.
Mich trösten viele Gespräche in den vergangenen Tagen. Auch das Telefonat aus dem Saarland. Die Anruferin geht zum Friedensgebet, das ihre Kirchengemeinde in Völklingen monatlich anbietet. Sie wird beim nächsten Mal auch an uns in Solingen denken. Im Gebet sind wir verbunden. Vielleicht werde ich sie auch mal einladen, Solingen zu besuchen. Am liebsten zu einem unserer Feste: wenn wir wieder feiern möchten.
Ihr Pfarrer
Christof Bleckmann