Predigt am 31.12.2024 von unserer Prädikantin Monika Ruhnau

Na, liebe Geschwister. wie viele Jahresrückblicke habt ihr gehört, gesehen oder gelesen?! Krisen, Unwetter, Kriege – alles wohl dosiert dargeboten – immer angereichert mit einer Wohlfühlnachricht, sportlichen Glanztaten und Königshäusern. Das klingt jetzt ein bisschen flapsig, doch die traurige Realität ist:

Solingen war immer dabei. Nach Solingen – heißt es jetzt bedeutungsschwer und alle Welt überlegt, welche Auswirkungen das furchtbare Geschehen für das Miteinander in unserer bunten Gesellschaft hat. Aber mir ging es ja auch nicht viel besser.

Hin und her gingen die Gedanken: Was heißt das für mich? Wie bin ich aufgestellt für das Miteinander! Habe ich doch unbewusste Vorurteile? Lass ich mich von Stimmungsmache beeinflussen? Zeit für den ersten Glückskeks. Der Satz lautet: Wenn man im Gegenüber nicht den Feind, sondern den Freund vermutet, kann das Leben fantastisch sein.

Dieser Ausspruch ist von Silvio Witt. Seit 2015 ist er parteiloser Oberbürgermeister in Neubrandenburg. Er formulierte den Satz im Magazin der Wochenzeitung „Die Zeit“.in der Kolumne „Was ich gerne früher gewusst hätte“. Seit 2022 muss sich Silvio Witt mit heftigem Mobbing auseinandersetzen, weil er homosexuell ist. 2023 wurde die Regenbogenfahne am Neubrandenburger Bahnhof wiederholt zerstört und einmal auch durch eine Hakenkreuzfahne ersetzt.

Mit den Stimmen der Rechtpopulisten wurde im Oktober 2024 beschlossen, die Regenbogenfahne nicht mehr aufzuhängen aus sicherheits- und ordnungspolitischen Gründen. Silvio Witt kündigte daraufhin an, sein Amt zum 1.5.2025 niederzulegen. Es sei nicht mehr möglich, konstruktiv im Stadtrat zusammenzuarbeiten. Er wolle mit dem Rücktritt auch sein familiäres Umfeld aus der Schusslinie nehmen. Verbale und moralische Grenzen seien mehrfach überschritten worden.

Und trotzdem: Wenn man im Gegenüber nicht den Feind, sondern den Freund vermutet, kann das Leben fantastisch sein. Der Satz lässt Silvio Witts Ringen erahnen, sich im politischen Geschäft das Menschsein zu bewahren und Hetze nicht mit Hetze zu beantworten. Im andern immer den Menschen zu suchen und sich nicht von negativen Einschätzungen überrollen zu lassen. Ein Hauch von Jesu Nächstenliebe durchweht den Satz. Lässt die Befreiung erahnen, die Jesus verspricht, wenn ich beginne, mich aus dem Korsett meiner Vorverurteilungen herauszuschälen.

Es ist ein Satz, den wir 2025 gut gebrauchen können. Autokraten, Hetzer, Kriegstreiber unterwandern das Miteinander auf diesem Erdenball mit einer böswilligen Energie, die ihresgleichen sucht. Da heißt es, wachsam zu bleiben und an seiner Zivilcourage zu arbeiten. Der Satz hilft dabei, offen ins Gespräch zu gehen und das Gegenüber nicht abzustempeln. Die Menschen in Neubrandenburg gingen für ihre Regenbogenfahne auf die Straße. Und der Stadtrat stimmte im November mehrheitlich dafür, die Fahne als Symbol für Vielfalt anzuerkennen.

Wir singen: Geh auf den andern zu. Zum Ich gehört ein Du, um Wir zu sagen. Leg deine Rüstung ab. Weil Gott uns Frieden gab, kannst du ihn wagen.

Olympiade in Paris, 10. August , Kugelstoßen der Frauen. Wir haben eine Medaillenhoffnung: Yemisi Ogunleye. Es regnet in Strömen, der Ring ist nass, beim ersten Versuch rutscht Yemisi weg, ungültig. Sie winkt ab, keine Panik, wird schon. Aber was geht mir der Kommentator auf den Geist. Neben der üblichen sportlichen Einordnung lässt er sich breit darüber aus, wie gläubig sie sei, jeden Tag bete, dass sie ihre Kraft aus dem Glauben schöpfe. Kann man ja ruhig mal sagen, um einem die Athletin menschlich näher zu bringen, aber die Penetranz ist schon nervig.

Der Wettkampf läuft super. Vor dem letzten Versuch ist Yemisi die Silbermedaille nicht mehr zu nehmen. Sie steigt in den Ring und lächelt! freut sich auf ihren letzten Stoß. Sammeln, Technik abrufen, drehen, stoßen: Gold, 20 Meter, weiter kommt keine. Strahlend läuft sie mit der Fahne durchs Stadion, schlägt die Glocke von Notre Dame 3mal und dann ab zum Fernsehinterview. Und natürlich: nach den Glückwünschen die Frage, sie hätte so gelöst gewirkt, ob sie denn vor dem letzten Versuch gebetet hätte. Und dann strahlt eine junge Frau in die Kamera: Ja, sie hätte Gott schon darum gebeten, ein bisschen mitzustoßen, doch letztlich, so schön es sei, diese Medaille gewonnen zu haben, sie sei gewiss: Gott liebt mich mit und ohne Medaille.

Eine Leistungssportlerin, die weiß: the winner takes it all, die liefern muss, um die volle Sportförderung zu bekommen, ist sich gewiss: Gott definiert mich nicht allein über meine Leistung, bei ihm darf ich auch verlieren. Er sieht mich als Mensch so wie ich bin, mit allen guten und auch schlechten Eigenschaften. Gott liebt mich mit und ohne Medaille. Na, wenn das kein Satz für 2025 ist.

Liebe Geschwister, das sollten wir uns öfter sagen, wenn wir in den Spiegel schauen. Wenn wir glauben, nicht genügen zu können bei dem, was man von uns fordert. Oft ist es ja auch das, was wir uns selber abverlangen. Wie enttäuscht sind wir dann von uns, wenn wir die eigene Messlatte mal wieder gerissen haben. Nein, wir müssen keine Wunder vollbringen. Gott liebt uns so, wie wir sind. Oder sagen wir mal so:

Er hat auch nichts dagegen, wenn wir uns verbessern wollen. In keiner anderen Nacht als diese, die vor uns liegt, werden so viele gute Vorsätze gefasst und Pläne geschmiedet, das Leben umzukrempeln. Vieles davon hält nur von zwölf bis Mittag. Das gehört wohl zum Menschsein dazu: Zu leicht fallen wir in den alten Trott zurück, der ist bequem, da kennen wir uns aus, immer wieder braucht es neue Anläufe.

Doch eins ist gewiss: Auf unsere Unvollkommenheit reagiert Gott nicht mit Liebesentzug. Ganz im Gegenteil: Er hatte einen Plan mit dem Kind, dessen Geburt wir vor sieben Tagen gefeiert haben. Seit Ostern ist der Weg in seine offenen Arme frei für uns. Mit und ohne Medaille. Wir brauchen ihn nur voll Vertrauen zur gehen.

Wir singen: Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus. Frei sind wir, da zu wohnen und zu gehen. Frei sind wir, ja zu sagen oder nein. Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer, wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.

Liebe Geschwister. heute Nacht wird der Himmel voll des Lichts sein, es wird pfeifen und knallen und knistern. Und jede und jeder wird wohl kurz innehalten, mit Sekt oder ohne das Neue Jahr begrüßen und ein paar Wünsche himmelwärts schicken. Ich werde dann immer ein bisschen still, freue mich, dass wir einander noch haben, die Kinder gesund sind – ja, und das Neue Jahr?!

Da haben mir die Worte des Propheten Jesaja gut getan. Ohne Wenn und Aber, ohne ein „nur wenn die Umstände es erlauben“ oder nur nach Haushaltslage oder nur bei Sonnenschein…Nein, Jesaja sagt: Gott ist beständig. Nicht nur für die Israeliten, sondern für alle Völker, so weiß es Jesaja schon in diesen fernen Zeiten.

Vom Anbeginn an war Gott für uns Menschen da, im Hier und Heute wird er es sein und auch in Zukunft wird er sich um uns kümmern. Wir können gewiss sein: Wenn sich der Rauch des ganzen Budenzaubers verzogen hat, wird das Licht seiner Idee von Gerechtigkeit weiterstrahlen. Wir brauchen es dringend: Wo so viele um ihren Arbeitsplatz bangen, die Tafeln ihre Gaben rationieren müssen und viele leer ausgehen, Frauenhäuser zu wenig Plätze haben…

Viele kennen Gottes Idee, sie ist ja kein Geheimnis, immer wieder jagen ihr Menschen nach zum Wohle für die Schwachen in der Gemeinschaft, aber mindestens ebenso viele wissen von ihr und blenden sie nur allzu gerne aus. Nicht immer für den eigenen Vorteil, so manches Stadtsäckel ist einfach überfordert.

Ich hoffe, dass Gottes Licht der Gerechtigkeit 2025 immer mal wieder aufleuchten darf und nicht nur auf Sparflamme gestellt wird. Bleibt noch der letzte Glückskeks. Ihr kennt den Satz schon. Wir haben ihn eben gesungen:

Gott ist mit uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Amen

Text: Monika Ruhnau