Predigt von Pfarrer Thomas Förster zu: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“

Gehalten im Gottesdienst am 03.07.2022, Bibelzitat aus Johannes 14, 6

Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder,

das Wort Jesu, das im Mittelpunkt dieses Gottesdienstes stehen soll, hat in meiner theologischen Entwicklung eine besondere Rolle gespielt:

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Es ist das sechste der so genannten „Ich bin-Worte“, die das Johannesevangelium von Jesus überliefert hat.

„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Als junger Theologiestudent hat mich dieses Wort besonders umgetrieben. Denn: Mir lag doch besonders das Ergehen der jüdischen Menschen am Herzen. Schon als Jugendlicher hatte ich mich intensiv mit der Shoah, dem monströsen Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands an den jüdischen Menschen, auseinandergesetzt. Und ich spürte daher eine besondere Sympathie und eine besondere Verantwortung für eine Atmosphäre, in der jüdische Menschen nicht mehr ausgegrenzt werden. Und eben da bereitete mir unser heutiges Jesus-Wort erhebliches Kopfzerbrechen. Denn der jüdische Glaube kannte ja ausdrücklich Jesus Christus als den Weg, als die Wahrheit, als das Leben und als einzigen Weg zu Gott nicht an. Hieß das nicht auch, so fragte ich mich, dass jüdische Menschen auch hier ausgegrenzt sind vom rechten Weg zu Gott? Ausgegrenzt vom Heil? Und bedeutete die besondere Verantwortung, die ich für sie spürte, nicht, sie von ihrem vermeintlich falschen Weg abzubringen? Sie zu gewinnen für den Weg Jesu, für den christlichen Glauben, dass der Messias schon da war? Und dass es dieser Jesus, der gekreuzigte und auferstandene, ist, auf dessen Ankunft wir warten? Aber andererseits: War das nicht gerade die Geringschätzung des jüdischen Glaubens, die es nie wieder geben sollte? Müsste das zu Ende gedacht nicht bedeuten, dass um der Menschen selbst und um ihres Heils willen aus Jüdinnen und Juden Christinnen und Christen werden sollten? Aber durfte ich so überhaupt denken – im Angesicht der Shoah?

Quelle: www.gemeindebrief.de

Liebe Schwestern und Brüder,

das war Ende der 1980er Jahre. Ich war junger Theologiestudent. Und ich weiß noch, wie sehr mich diese Fragen damals umgetrieben haben. „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Dieses Ich bin-Wort Jesu war zu einer riesigen Herausforderung geworden auf meinem Weg als junger Theologe. Das ist jetzt mehr als 30 Jahre her. Aber die grundsätzliche Frage stellt sich ja noch immer. Und nicht nur in unserem Verhältnis zu Menschen jüdischen Glaubens, sondern in unserem Land heute viel häufiger noch im Gespräch mit muslimischen Menschen. Wenn es nur einen richtigen Weg gibt, dann müssten doch alle anderen falsch sein. „Niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ Also müssten dann nicht alle anderen um ihrer selbst willen bekehrt werden? Trägt unser Glaube also einen Absolutheitsanspruch in sich, der keinen anderen Glauben duldet?

Liebe Schwestern und Brüder,

um es klar zu sagen: Nein! Ich bin fest davon überzeugt, dass unser Glaube nicht von uns fordert, allen, die etwas anderes glauben, zu sagen, dass sie auf dem Holzweg sind. Im Gegenteil. Jesus selbst hat ja immer wieder mit größtem Respekt von Menschen und mit Menschen anderen Glaubens gesprochen. Der entscheidende Punkt liegt für mich aber darin: Wir müssen uns nicht Gottes Kopf zerbrechen! Die Frage, wen Gott zum Heil führt, wen er am Ende liebevoll anblickt und wen vielleicht nicht, haben wir nicht zu beantworten. „In meines Vaters Haus gibt es viele Wohnungen“, sagt Jesus. Das macht Hoffnung – für uns und für andere.

Es gibt darum keinen Grund, in falschen Fundamentalismus zu verfallen. Jesus fordert uns nicht auf, Menschen mit anderem Glauben abzuwerten oder darüber zu belehren, dass sie auf dem falschen Weg sind. Die Verantwortung dafür, welcher Glaube sich am Ende als wahr erweisen wird, können wir Gott überlassen.

„Ich bin der Weg“, sagt Jesus in unserem Bibelwort. Im Johannesevangelium gehört dieser Text zu den so genannten Abschiedsreden Jesu an seine Freundinnen und Freunde. Jesus ist schon in Jerusalem. Sein Blick richtet sich bereits auf das, was ihm bevorsteht: auf das Kreuz. Der Weg, von dem er spricht, ist der Weg des Kreuzes. Und dieser Weg ist eben das Gegenteil von überheblichem Auftrumpfen. Das Kreuz Jesu bedeutet selbstgewählte Zurückhaltung statt Überheblichkeit, Vertrauen auf Gottes Beharrlichkeit statt auf eigene Stärke, Liebe zu Gott und den Nächsten statt Verliebtsein in sich selbst und in die eigenen Standpunkte. Ein Weg, der das Kreuz Jesu in den Mittelpunkt stellen will, kann niemals die eigene Position verabsolutieren. Sondern er wird auf Gott vertrauen: darauf, dass seine Liebe sich am Ende als stärker erweisen wird als alle falschen Mächte und Gewalten und Irrtümer und Lügen.

Für uns geht es auf dem Weg Jesu darum, von dem zu erzählen, woran wir glauben und was wir für wahr halten. Ohne Menschen anderen Glaubens abzuwerten oder auszugrenzen. Wer erzählt, welcher Glaube dem eigenen Leben festen Grund und Orientierung gibt, wertet anderen Glauben dadurch nicht ab. Schon gar nicht, wenn man dann auch ehrlich interessiert nach dem Glauben des anderen oder der anderen fragt: nach der Wahrheit der anderen. Und wenn man mit den anderen die Lust daran teilt, Gemeinsamkeiten zu entdecken, aber auch Einzelheiten der eigenen Wahrheit klarer zu erkennen.

Der Weg Jesu ist der Weg des Dialogs. Jesus hat diesen Dialog oft genug gepflegt. Wenn er mit anderen sprach, dann ging es immer wieder um die Wahrheit. Und er selbst hat mit dem, was er als wahr erkannt hatte, wirklich nicht hinter dem Berg gehalten. Aber er hat sich eben immer auch für sein Gegenüber interessiert: „Was glaubst Du? Was willst Du?“

In diesem Dialog kann dann Leben wachsen. Nämlich als Zusammenleben. Wir sind ja von Gott nicht als isolierte Einzelwesen gedacht, sondern als Menschen in Beziehung. In Beziehung zu ihm und zueinander. Und der Dialog auf dem Wege Jesu ist ein Mittel, um Leben als Zusammenleben zu fördern.

Ein evangelischer Theologe, Wilfried Härle, hat einmal formuliert, dass das Zusammenleben mit anderen Glaubensüberzeugungen oder Lebenskonzepten gelingen kann, wenn zwei Regeln gleichermaßen beachtet werden.

Quelle: www.gemeindebrief.de

Erste Regel: Das eigene Wahrheitsbewusstsein besitzt unbedingte Geltung!

Und die zweite Regel: Die fremden Wahrheitsansprüche verdienen unbedingte Achtung!

Also: Was für mich glasklar und fundamental ist, bleibt glasklar und fundamental auch im Gespräch mit anderen. Aber: Ich respektiere gleichzeitig, dass genau das auch für mein Gegenüber gilt und das dessen Verständnis von Wahrheit darum auch zu achten ist.

Klarheit in der eigenen Position und gleichzeitig absoluter Respekt vor der Haltung des anderen kennzeichnen solchen echten Dialog. Das in der Praxis unseres Zusammenlebens besser einzuüben, wäre doch eine Aufgabe für uns als Gemeinde in einer Gesellschaft, in der es immer mehr Respektlosigkeiten zu geben scheint. Und es würde sich nicht nur auf fremde Religionen beziehen, sondern auf alle Menschen, die unterschiedlich glauben, lieben oder leben.

In einem solchen Dialog brauche ich dem oder der anderen meinen Glauben und meine Sicht der Dinge nicht vorzuenthalten. Aber ich kann dem anderen Menschen auch seine eigene Wahrheit zugestehen. Denn ich weiß, dass letztlich nicht ich dafür verantwortlich bin, ihn auf den rechten Weg des Heils zu bringen. Diese Verantwortung kann ich getrost Gott überlassen. Dafür besteht meine Mitverantwortung darin, gut mit anderen zusammenzuleben.

Liebe Schwestern und Brüder, in diesem Sommer stehen die „Ich bin“-Worte im Mittelpunkt Ihrer Gottesdienste. Die „Ich bin“-Worte Jesu. Es geht aber auch um unsere eigenen „Ich bin“-Worte. Zu sagen, wer wir sind, was wir glauben und für wahr halten, was unserem Leben festen Boden und Orientierung gibt, ist wichtig und gehört zum Weg Jesu dazu. Gutes Zusammenleben wird wachsen, wenn wir den anderen unsere „Ich bin“-Worte nicht vorenthalten. Und wenn wir sie gleichzeitig spüren lassen, dass wir auch an ihren „Ich bin“-Worten ehrlich interessiert sind. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alles, was wir verstehen und begreifen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.