Ein Gebet in diesen Tagen…

Du Gott des Lebens,

Du weißt, wie uns zumute ist.

Wir erleben eine Situation, wie die meisten von uns sie noch nie kennengelernt haben. Vieles beunruhigt uns.

Wir machen uns Sorgen um unsere Lieben, um unsere Gesellschaft und um uns selbst.

Wir bitten Dich für alle, die erkrankt sind. Für alle, die als Angehörige und Freund*innen an ihrer Seite stehen. Trage sie alle durch diese schwere Zeit!

Wir bitten Dich für alle, die sich mit vollem Einsatz um sie kümmern: Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte und Ansprechpartnerinnen in Einrichtungen, Sprechstundenhilfen und viele mehr.

Sie tun Dienst bis an den Rand der Erschöpfung und darüber hinaus. Stärke sie! Gib ihnen immer wieder neue Kraft! Und hilf, dass auch sie in allem immer wieder Momente der Erholung finden. Und dass unser Dank und unsere Wertschätzung sie erreicht.

Wir bitten Dich für alle, die jetzt schwere und weitreichende Entscheidungen treffen müssen in Krisenstäben und Ministerien – in einer auch für sie völlig neuen Situation. Gib auch ihnen immer neu Kraft und Weisheit und Mut! Hilf uns allen, sie zu unterstützen und ihnen den Rücken zu stärken.

Wir bitten für alle, die mit ganzer Kraft daran arbeiten, das Wichtigste in unserer Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Für alle Verkäufer*innen in den Lebensmittelläden, alle Mitarbeitenden in der Ver- und Entsorgung, alle Ordnungskräfte, alle Mitarbeitenden in KiTas, Schulen – und viele mehr. Wir danken Dir dafür, dass sie alle da sind und ihren Dienst tun!

Wir bitten Dich für alle, deren wirtschaftliche Existenz von Tag zu Tag stärker gefährdet wird. Hilf uns allen, gerade jetzt solidarisch zu sein und die Folgen der Krise miteinander zu teilen.

Wir bitten Dich besonders für alle, die sich gerade im Moment allein und isoliert fühlen. Die nicht verstehen können, was um sie herum geschieht. Segne sie besonders! Lass Menschen da sein, die ihre Einsamkeit immer wieder mit Anrufen und guten Worten überwinden!

Gott, wir bitten Dich für uns alle! Hilf uns, gerade in diesen Zeiten gut aufeinander zu achten und füreinander da zu sein. Schenk uns gute Ideen, wie wir einander beistehen und helfen können. Lass uns in dieser Krise innerlich zusammenrücken, auch wenn wir körperlich Abstand halten müssen. Gib, dass das Beste in uns in dieser Krise zum Vorschein kommt. Mach uns zu Werkzeugen Deiner Liebe und Deines Friedens. Und zeig uns immer wieder, wie unfassbar nahe Du uns bist – gerade jetzt!

Amen.

Von Jo Römelt aus der Kirchengemeinde Solingen Dorp

Neue Jahreslosung für 2020

Verlag am Birnbach – Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Markus 9,24

Auslegung der Jahreslosung 2020:

Angespannt sitze ich im Wartezimmer eines Arztes und hoffe auf ein gutes Ergebnis der anstehenden Untersuchung. Ich habe Angst, fühle mich hilflos. Viele Menschen aus meinem Bekanntenkreis mussten sich schon schweren Diagnosen stellen – warum sollte ich ausgenommen sein?

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

Genau das spielt sich gerade in mir ab: „Ich glaube!“ – Ja, ich weiß mich in Gottes Hand. Ja, ER meint es gut mit mir. Ja, IHM ist nichts unmöglich!
Gleichzeitig rumoren in mir Gedanken wie: Kümmert Gott mein kleines Leben überhaupt? Warum bin ich nur so unruhig und besorgt? Wo bleibt mein Gottvertrauen? Wenn es darauf ankommt, verliere ich den Boden unter den Füßen. Dabei habe ich doch schon so oft Gottes Nähe und Hilfe erlebt …

So erging es bereits den Menschen, die mit Jesus unterwegs waren. Unglaubliches hatten sie mit ihm erlebt: Wie er lebensbedrohliche Wogen glättete, Stürme stillte, Tausende speiste und Kranke heilte. Doch oft machte sich schon bei der nächsten Herausforderung große Hilfslosigkeit breit, so dass Jesus sie fragte: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4, 40)

Genau das passiert wieder einmal. Ein Vater bringt seinen schwer kranken Sohn zu ihnen. Die Situation eskaliert, als sich auch noch Schriftgelehrte einmischen. Wie so oft gesellt sich zur Hilflosigkeit die Aggression. Einer fehlt. Jesus, der plötzlich dazu kommt und in die aufgebrachte Runde hinein fragt: „Was streitet ihr mit ihnen?“ Da platzt alles aus dem Vater heraus, die Angst um seinen Sohn, die Enttäuschung über die Ratlosigkeit der Jünger: „Und du selber warst nicht da – nur deine Jünger und die konnten uns nicht helfen!“ Jesus reagiert nahezu ungehalten: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!“ – und handelt. In Jesus Gegenwart bäumt sich noch einmal die lebensfeindliche widergöttliche Macht in dem Kranken auf. Der Vater setzt alles auf eine Karte und schreit verzweifelt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Eine bewegende Szene. Ein grundehrlicher Mann, dieser Vater! So eine schlimme Krankheit kann eine komplette Glaubensexistenz erschüttern. Trotzdem mutet er sein Anliegen und seinen „Unglauben“ Jesus zu und fleht ihn um sofortige Hilfe an. Jesus schont ihn nicht und erwischt ihn an seiner Schwachstelle: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Da brüllt der Vater verzweifelt:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Ein Hilfeschrei aus der Tiefe: „Ich glaube – wäre ich denn sonst zu dir gekommen? Ich kann es nicht ergründen, was das bedeutet, und was du von mir erwartest. Über letzte Konsequenzen dieses Versprechens bin ich mir nicht im Klaren. Und ich kann dir auch nicht beweisen, dass ich „richtig“ innig genug glaube …“ So folgt auf sein Versprechen die Bitte: „… hilf meinem Unglauben!“ Der Vater erkennt, dass nicht nur sein Sohn der Hilfe und der Heilung bedarf, sondern auch er selber, sein Glaube.

Ist die rote Figur in der Grafik der Künstlerin Stefanie Bahlinger dieser Vater, rot vor Anstrengung, seinen Sohn zu retten? Rot vom Weinen und Schreien um Hilfe? Sind die ausgebreiteten Arme eine Geste der Kapitulation? Immer wieder hat er versucht, die Hoffnung nicht aufzugeben. Jetzt kann er nicht mehr, hängt fest, hängt in der Luft. Damit steht er für alle Geschöpfe, die den Boden unter den Füßen verloren haben und sich nach Rettung sehnen. Für die Unsicheren, die nicht wissen, wem sie noch vertrauen oder an was sie noch glauben können. Für die vergeblich nach Orientierung Suchenden. Und auch für die, die sich ihres Glaubens gewiss sind und deren Glaube plötzlich durch eine Grenzerfahrung ins Wanken gerät.

Jesus kommt genau zum richtigen Zeitpunkt zu dem Vater und greift ein. Abruptes Ende einer aufregenden Geschichte.

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Dieser Aufschrei des Vaters ist ein erster Schritt des Vertrauens. Wie wunderbar, dass Jesus das nicht zu wenig ist!

Gleichzeitig bringt der Vater auf den Punkt, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ausmacht. Eine Spannung, die mich nicht zerreißen muss, weil Jesus sich ganz in meine Lage versetzt und sie mit mir aushält. So wird die rote Figur zu Christus, der mich mit ausgebreiteten Armen empfängt. Durch sein Leiden und Sterben zerreißt Jesus den Vorhang zum Allerheiligsten, fällt die Mauer, die uns Menschen von Gott trennt. Angedeutet durch die dunkelblauen Fasern am Rand des Ausschnitts. Große Energie strahlt von Jesus Christus aus. Er stellt sich in den Riss, macht den Weg frei. Er eröffnet einen weiten Raum, und schiebt kraftvoll Mauern der Angst und Sorge weg, die mir und meinem Glauben die Luft zum Atmen nehmen.

Jesus sieht und erträgt meine Unsicherheit, wenn mein Glaube angesichts schwieriger Herausforderungen versagt. So begegnet und antwortet Jesus auch seinen von sich selber enttäuschten Jüngern: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.“ (Markus 9, 29)
Intuitiv setzt der Vater die sprichwörtliche Einsicht: „Not lehrt beten“ um und ruft:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Dieses Bekenntnis ist zugleich ein Hilfeschrei, in dem er nicht nur seinen Sohn, sondern sein ganzes Leben Jesus anvertraut. Es ist ein Gebet der Hingabe an Jesus, dem nichts unmöglich ist. So können die Zacken in der Grafik auch dafür stehen, dass er diesen Sprung des Glaubens wagt im Vertrauen darauf, dass Jesus ihn auffängt. – Wenn das kein Glaube ist! Ein Glaube, der seine Kraft aber nie aus sich selber bezieht. Der nur lebendig bleiben und wachsen kann, wenn er in Jesus verwurzelt ist.

Und doch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich Jesu Nähe, seine Kraft, sein konkretes Eingreifen vermisse. Zeiten, in denen mein Glaube wankt. Was hindert mich dann zu rufen:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Und es gibt Zeiten, in denen mich Jesus herausfordert, über mich selbst und meine Möglichkeiten hinauszuwachsen. Kaum zu glauben, was er mir zu- und anvertraut! Kaum zu glauben, wie seine Möglichkeiten meine Grenzen sprengen! Daran können ihn weder Kleinglaube noch Unglaube hindern.


Motiv: Stefanie Bahlinger
Auslegungstext: Renate Karnstein
Verlag: www.verlagambirnbach.de

 

 

 

Predigt am 27.01.2019 zu 2. Mose 3,1-15 Gott und sein Name

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Kennt Ihr das? Ich gehe durch Solingen, bin in Gedanken völlig woanders, und schrecke plötzlich auf, weil jemand mich anspricht. Eigentlich hätte ich mich gar nicht erschrecken müssen, denn der andere kam mir ja schon eine ganze Weile entgegen. Aber wie gesagt, ich war in Gedanken und völlig woanders. Da nimmt man schon mal Dinge in der Umgebung nicht wahr, vor allem, wenn man sich auf einem bekannten Gelände, in einer bekannten Umgebung bewegt. Mir passiert das eben auch ohne, dass ich aufs Smartphone schaue. Die Augen sind zwar offen und nach vorne gerichtet, aber eigentlich bin ich wie blind.

Offene Augen für seine Umgebung haben ist aber grundsätzlich nicht verkehrt. Wie gut, dass es dem Mose nicht so ging wie mir, wie gut, dass es damals kein Smartphone gab, dass ihn ablenkte, denn so hatte er die Augen auf und nahm wahr, was es da in seiner Umgebung zu sehen gab. Hört aus dem 2. Buch Mose im 3. Kapitel den heutigen Predigttext:

„2.Mose 3,1-15 Moses Berufung
1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.  2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.  3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.  8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.  9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. 11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge. 13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.  15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.

Was für eine Geschichte: Mose sieht in der Steppe einen brennenden Dornbusch. Das ist an sich nichts verwunderliches, Dornbüsche gibt es dort zuhauf, und es kommt immer wieder mal vor, dass sie in der Hitze des Tages Feuer fangen. Doch dieser Dornbusch war schon was Besonderes, denn er verbrannte nicht einfach. Und das will Mose dann genauer sehen. Und mit seiner Neugier beginnt seine Berufungsgeschichte und die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten.

Einiges ist merkwürdig an dieser Geschichte, dies will ich kurz beleuchten: Dass Gott oder sein Bote sich im Dornstrauch befindet ist nach jüdischer Auslegung ein Zeichen dafür, dass er ein mitleidender Gott ist. Raschi, ein mittelalterlicher jüdischer Auslegung schreibt: „aus dem Dornbusch und nicht aus einem anderen Baum, wegen „mit ihm bin ich im Elend“ (Psalm 91,15). Und somit gibt der Vers schon einen Hinweis auf den Gottesnamen, den Martin Buber und Franz Rosenzweig in Ihrer Verdeutschung der Schrift mit „ICH BIN DA“ wiedergaben, zu verstehen als „ich bin mit dir“.

Das andere ist die Heiligkeit des Boden und das Ausziehen der Sandalen. Das müssen später auch die Priester in der Stiftshütte und im Tempel tun. Martin Vahrenhorst (Predigtmeditation im Christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe 1, Berlin 2018, S. 91)  schreibt dazu: „Der Vers oszilliert (schwankt) zwischen Distanz und Intimität, denn die Schuhe zieht man sich dort aus, wo man sich als Gast gleichsam zuhause fühlen darf. Oder geht es um etwas ganz anderes. Barfuß spürt man die Verbindung zum Erdboden besonders gut und manchmal auch schmerzhaft.“ – Der Mensch Mose, hebr. Adam, steht barfuß auf dem Erdboden, hebr. Adama. Vahrenhorst (ebenda S. 91) führt dies zu der Frage: „Muss man besonders gut geerdet sein, wenn man dem Gott Israels begegnen will?“ Diese Frage will ich so einfach mal  stehen lassen.

Die nächste Auffälligkeit ist, dass Mose sein Antlitz angesichts der Gottheit verhüllt: die Kippa der Juden hat in dieser Szene ihren Ursprung. Mose ist der erste, von dem dies erzählt wird und gleichzeitig ein Lebensthema des Mose angedeutet: Hier verhüllt er sein Antlitz. Später, nach der Befreiung des Volkes, wieder am Berg Gottes wird er vergeblich wünschen Gottes Herrlichkeit zu schauen. Und im Rückblick auf ihn wird es am Ende des 5. Mosebuches heißen, dass niemand wie er Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt habe. (Anstoß von Vahrenhorst, ebd. S. 91f.)

Dann kommt Gott zu seinem Rettungsplan: Er, der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat das Schreien seines Volkes gehört. Er erinnert sich an seine Verheißungen, und will das Volk nun aus der Sklaverei befreien und Mose soll dabei die handelnde Person sein.

Auf den ersten Einwand Mose: „Wer bin ich?“ antwortet Gott mit der Zusage: „Ich werde mit Dir sein!“ (Hier schon die Vorwegnahme des Gottesnamens)

Es war üblich, dass die Götter im Alten Orient Namen hatten, also fragt Mose nach: „Welchen Namen soll ich sagen? Wer bist Du?“ Und die Antwort Gottes ist „Ich bin der ich sein werde“ nach der Übersetzung von Luther, „ICH BIN DA“ im Sinne des ich bin mit dir bei Martin Buber und Franz Rosenzweig und als solcher erweist er sich als der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der Mensch und seine Identität und Gott seine Identität sind auf einander bezogen:

Der Mensch ist der, mit dem Gott ist.
Gott ist der, der bei dem Menschen ist.“

Zusammengenommen: Der mit seinem Volk mitleidende Gott spricht aus Dornbusch Mose an. Geerdet erst ist er zur Zwiesprache mit ihm bereit. „Das Mit-Sein Gottes, das vor dem Leid nicht halt macht“, daran hat sich Gott gebunden.

Wenn Gott so klar Stellung bezieht, dann sollten wir das auch, und damit bin ich noch mal beim heutigen Datum (27.01. Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz): 1986 wurde Elie Wiesel mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er hat immer wieder an die Shoah, die Vernichtung der Juden durch die Nazis erinnert, ist aber nie bei einer Erinnerung stehen geblieben. In seiner Rede bei der Verleihung ruft er zu Konsequenzen auf: „Wir müssen Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, nicht dem Opfer. Schweigen ermuntert den Folterer, niemals den Gefolterten. Manchmal müssen wir einschreiten. Wenn menschliche Leben bedroht sind, wenn menschliche Würde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen und Gefühlslagen irrelevant. Wo auch  immer Männer und Frauen wegen ihrer Rasse, Religion oder wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt werden, dieser Ort muss – in diesem Moment – das Zentrum der Welt sein…“ Und wenig später fährt er fort: „So lange wie ein Dissident im Gefängnis sitzt, ist meine Freiheit keine wirkliche. So lange wie ein Kind hungrig ist, werden unsere Leben von Pein und Scham gefüllt sein. Was all diese Opfer vor allem anderen brauchen, ist, das sie wissen, dass sie nicht alleine sind; dass wir sie nicht vergessen; dass wir, wenn ihre Stimmen erstickt werden, ihnen unsere Stimme leihen, dass während ihre Freiheit von uns abhängt, die Qualität unserer Freiheit von ihnen abhängt.“ Und das ganze geht hin zu einem weiteren Satz: „Unsere Leben gehören nicht uns allein, sie gehören all denen die uns verzweifelt brauchen.“ (Alle Passagen der Rede übersetzt nach https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1986/wiesel-acceptance_en.html)

Vergangenheit, Bibeltext und Gegenwart zusammengebracht könnte das so heißen: Gott ergreift Partei. „Gott leidet mit seinem Volk mit“ – Sein Name ist Programm „Ich bin mit Dir“. Gott greift ein, weil er sich erinnert. Mose wird berufen und das Projekt der Befreiung der Israeliten in Angriff genommen.

Immanuel „Mit uns ist Gott“ – so ist der verheißene Name des Messias.

Wir Christen glauben, dass Jesus dieser verheißene ist. Jesus hat es gemacht wie Gott, er war an der Seite derjenigen, die keine Stimme hatten und hat für sie Partei ergriffen und sie so gestärkt und ist ihnen so zum „Gott mit uns geworden.“

Was Elie Wiesel aus menschlichen Gründen fordert, müssen wir aus theologischen, aus Glaubensgründen fordern.

Wir müssen Partei ergreifen, für die, denen ein gelingendes Leben vorenthalten wird. Wir müssen unsere Stimme erheben, wenn Menschen mundtot gemacht werden sollen.

Wir müssen auf der Seite der Schwachen stehen und klare Kante zeigen.

Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so formuliert: „Wir müssen so leben, als wenn es Gott nicht gäbe.“ Und das nicht resignativ, sondern voller Hoffnung:

Gott, der mit seinem Volk Israel litt und es befreite,

Gott, der mit seinem Namen „Ich bin da“ sich immer noch an Menschen bindet und mit den Unterdrückten leidet,

Gott, der Vater Jesu Christi wird die Welt am Ende zurechtbringen. Und mit dieser Hoffnung im Rücken können wir heute traurig gedenken und zugleich voll Hoffnung in die Zukunft blicken und unsere kleinen Schritte in Richtung seines Reiches tun. Amen.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.