Predigt am 27.01.2019 zu 2. Mose 3,1-15 Gott und sein Name

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Kennt Ihr das? Ich gehe durch Solingen, bin in Gedanken völlig woanders, und schrecke plötzlich auf, weil jemand mich anspricht. Eigentlich hätte ich mich gar nicht erschrecken müssen, denn der andere kam mir ja schon eine ganze Weile entgegen. Aber wie gesagt, ich war in Gedanken und völlig woanders. Da nimmt man schon mal Dinge in der Umgebung nicht wahr, vor allem, wenn man sich auf einem bekannten Gelände, in einer bekannten Umgebung bewegt. Mir passiert das eben auch ohne, dass ich aufs Smartphone schaue. Die Augen sind zwar offen und nach vorne gerichtet, aber eigentlich bin ich wie blind.

Offene Augen für seine Umgebung haben ist aber grundsätzlich nicht verkehrt. Wie gut, dass es dem Mose nicht so ging wie mir, wie gut, dass es damals kein Smartphone gab, dass ihn ablenkte, denn so hatte er die Augen auf und nahm wahr, was es da in seiner Umgebung zu sehen gab. Hört aus dem 2. Buch Mose im 3. Kapitel den heutigen Predigttext:

„2.Mose 3,1-15 Moses Berufung
1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.  2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.  3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.  8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.  9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. 11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge. 13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.  15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.

Was für eine Geschichte: Mose sieht in der Steppe einen brennenden Dornbusch. Das ist an sich nichts verwunderliches, Dornbüsche gibt es dort zuhauf, und es kommt immer wieder mal vor, dass sie in der Hitze des Tages Feuer fangen. Doch dieser Dornbusch war schon was Besonderes, denn er verbrannte nicht einfach. Und das will Mose dann genauer sehen. Und mit seiner Neugier beginnt seine Berufungsgeschichte und die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten.

Einiges ist merkwürdig an dieser Geschichte, dies will ich kurz beleuchten: Dass Gott oder sein Bote sich im Dornstrauch befindet ist nach jüdischer Auslegung ein Zeichen dafür, dass er ein mitleidender Gott ist. Raschi, ein mittelalterlicher jüdischer Auslegung schreibt: „aus dem Dornbusch und nicht aus einem anderen Baum, wegen „mit ihm bin ich im Elend“ (Psalm 91,15). Und somit gibt der Vers schon einen Hinweis auf den Gottesnamen, den Martin Buber und Franz Rosenzweig in Ihrer Verdeutschung der Schrift mit „ICH BIN DA“ wiedergaben, zu verstehen als „ich bin mit dir“.

Das andere ist die Heiligkeit des Boden und das Ausziehen der Sandalen. Das müssen später auch die Priester in der Stiftshütte und im Tempel tun. Martin Vahrenhorst (Predigtmeditation im Christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe 1, Berlin 2018, S. 91)  schreibt dazu: „Der Vers oszilliert (schwankt) zwischen Distanz und Intimität, denn die Schuhe zieht man sich dort aus, wo man sich als Gast gleichsam zuhause fühlen darf. Oder geht es um etwas ganz anderes. Barfuß spürt man die Verbindung zum Erdboden besonders gut und manchmal auch schmerzhaft.“ – Der Mensch Mose, hebr. Adam, steht barfuß auf dem Erdboden, hebr. Adama. Vahrenhorst (ebenda S. 91) führt dies zu der Frage: „Muss man besonders gut geerdet sein, wenn man dem Gott Israels begegnen will?“ Diese Frage will ich so einfach mal  stehen lassen.

Die nächste Auffälligkeit ist, dass Mose sein Antlitz angesichts der Gottheit verhüllt: die Kippa der Juden hat in dieser Szene ihren Ursprung. Mose ist der erste, von dem dies erzählt wird und gleichzeitig ein Lebensthema des Mose angedeutet: Hier verhüllt er sein Antlitz. Später, nach der Befreiung des Volkes, wieder am Berg Gottes wird er vergeblich wünschen Gottes Herrlichkeit zu schauen. Und im Rückblick auf ihn wird es am Ende des 5. Mosebuches heißen, dass niemand wie er Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt habe. (Anstoß von Vahrenhorst, ebd. S. 91f.)

Dann kommt Gott zu seinem Rettungsplan: Er, der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat das Schreien seines Volkes gehört. Er erinnert sich an seine Verheißungen, und will das Volk nun aus der Sklaverei befreien und Mose soll dabei die handelnde Person sein.

Auf den ersten Einwand Mose: „Wer bin ich?“ antwortet Gott mit der Zusage: „Ich werde mit Dir sein!“ (Hier schon die Vorwegnahme des Gottesnamens)

Es war üblich, dass die Götter im Alten Orient Namen hatten, also fragt Mose nach: „Welchen Namen soll ich sagen? Wer bist Du?“ Und die Antwort Gottes ist „Ich bin der ich sein werde“ nach der Übersetzung von Luther, „ICH BIN DA“ im Sinne des ich bin mit dir bei Martin Buber und Franz Rosenzweig und als solcher erweist er sich als der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der Mensch und seine Identität und Gott seine Identität sind auf einander bezogen:

Der Mensch ist der, mit dem Gott ist.
Gott ist der, der bei dem Menschen ist.“

Zusammengenommen: Der mit seinem Volk mitleidende Gott spricht aus Dornbusch Mose an. Geerdet erst ist er zur Zwiesprache mit ihm bereit. „Das Mit-Sein Gottes, das vor dem Leid nicht halt macht“, daran hat sich Gott gebunden.

Wenn Gott so klar Stellung bezieht, dann sollten wir das auch, und damit bin ich noch mal beim heutigen Datum (27.01. Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz): 1986 wurde Elie Wiesel mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er hat immer wieder an die Shoah, die Vernichtung der Juden durch die Nazis erinnert, ist aber nie bei einer Erinnerung stehen geblieben. In seiner Rede bei der Verleihung ruft er zu Konsequenzen auf: „Wir müssen Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, nicht dem Opfer. Schweigen ermuntert den Folterer, niemals den Gefolterten. Manchmal müssen wir einschreiten. Wenn menschliche Leben bedroht sind, wenn menschliche Würde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen und Gefühlslagen irrelevant. Wo auch  immer Männer und Frauen wegen ihrer Rasse, Religion oder wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt werden, dieser Ort muss – in diesem Moment – das Zentrum der Welt sein…“ Und wenig später fährt er fort: „So lange wie ein Dissident im Gefängnis sitzt, ist meine Freiheit keine wirkliche. So lange wie ein Kind hungrig ist, werden unsere Leben von Pein und Scham gefüllt sein. Was all diese Opfer vor allem anderen brauchen, ist, das sie wissen, dass sie nicht alleine sind; dass wir sie nicht vergessen; dass wir, wenn ihre Stimmen erstickt werden, ihnen unsere Stimme leihen, dass während ihre Freiheit von uns abhängt, die Qualität unserer Freiheit von ihnen abhängt.“ Und das ganze geht hin zu einem weiteren Satz: „Unsere Leben gehören nicht uns allein, sie gehören all denen die uns verzweifelt brauchen.“ (Alle Passagen der Rede übersetzt nach https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1986/wiesel-acceptance_en.html)

Vergangenheit, Bibeltext und Gegenwart zusammengebracht könnte das so heißen: Gott ergreift Partei. „Gott leidet mit seinem Volk mit“ – Sein Name ist Programm „Ich bin mit Dir“. Gott greift ein, weil er sich erinnert. Mose wird berufen und das Projekt der Befreiung der Israeliten in Angriff genommen.

Immanuel „Mit uns ist Gott“ – so ist der verheißene Name des Messias.

Wir Christen glauben, dass Jesus dieser verheißene ist. Jesus hat es gemacht wie Gott, er war an der Seite derjenigen, die keine Stimme hatten und hat für sie Partei ergriffen und sie so gestärkt und ist ihnen so zum „Gott mit uns geworden.“

Was Elie Wiesel aus menschlichen Gründen fordert, müssen wir aus theologischen, aus Glaubensgründen fordern.

Wir müssen Partei ergreifen, für die, denen ein gelingendes Leben vorenthalten wird. Wir müssen unsere Stimme erheben, wenn Menschen mundtot gemacht werden sollen.

Wir müssen auf der Seite der Schwachen stehen und klare Kante zeigen.

Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so formuliert: „Wir müssen so leben, als wenn es Gott nicht gäbe.“ Und das nicht resignativ, sondern voller Hoffnung:

Gott, der mit seinem Volk Israel litt und es befreite,

Gott, der mit seinem Namen „Ich bin da“ sich immer noch an Menschen bindet und mit den Unterdrückten leidet,

Gott, der Vater Jesu Christi wird die Welt am Ende zurechtbringen. Und mit dieser Hoffnung im Rücken können wir heute traurig gedenken und zugleich voll Hoffnung in die Zukunft blicken und unsere kleinen Schritte in Richtung seines Reiches tun. Amen.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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