
Vortrag: Das Schicksal von Betty Reis, 15.102025 in Ohligs

Evangelische Kirchengemeinde Ketzberg
Kirche auf dem Ketzberg. Wir leben aussicht(s)reich.
Update 12.10.25: Nur noch Karten für das Konzert in der Cobra am 06.12. buchbar!
Die Presbyterien der Gemeinden Gräfrath und Ketzberg laden alle Mitglieder und Mitarbeitende dazu ein. Wir beginnen um 10.30 Uhr mit einem Erntedankgottesdienst mit dem Klassikchor in der Ketzberger Kirche. Dabei sammeln wir wieder haltbare Lebensmittel als Spenden für die Solinger Tafel.
Im Anschluss folgt dort die Gemeindeversammlung mit Informationen zur Gemeindefusion 2027 und Gebäudebedarfsplanung, Imbiss, Gelegenheit zum Kennenlernen und zum Austausch über die Zukunft der Gemeinde. Fragen und Anregungen können eingebracht werden.
Für die Planung des Essens bitte anmelden (bei Pfarrer Bleckmann, Tel. 0157 3066 7301 – wird Kinderbetreuung gewünscht?) oder bei Pfarrer Thomas Schorsch, thomas.schorsch@ekir.de und Pfarrer Christof Bleckmann, christof.bleckmann@ekir.de per Mail.
Wir freuen uns auf Sie / Euch!
Bild: www.gemeindebrief.de
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Steht in der Reihe von Calvin, Luther, Bonhoeffer, Karl Barth. Karl Barth selbst hat über ihn gesagt: An die Spitze der der Theologie der neuesten Zeit gehört und wird für alle Zeiten gehören der Name Schleiermacher und keiner neben ihm. Und, obwohl er ihn sehr kritisch analysiert kann er sagen: Wir haben es mit einem Heros zu tun, wie sie der Theologie nur selten geschenkt wird.
Wikipedia: Er war nicht nur evangelischer Theologe, sondern auch Altphilologe, Philosoph, Publizist, Staatstheoretiker, Kirchenpolitiker und Pädagoge. In mehreren dieser Wirkfelder wird er zu den wichtigsten Autoren seiner Zeit, in einigen auch zu den Klassikern der Disziplin überhaupt gerechnet. Er übersetzte die Werke Platons ins Deutsche und gilt als Begründer der modernen Hermeneutik (Kunst des Verstehens)
Vorab: Im folgenden hab ich mich sehr stark an einen Vortrag von Thorsten Dietz orientiert (Worthaus: Glaube und Gefühl); Übersetzungshilfe! Schleiermachers Ausführungen sprachlich schwer zu verstehen.
Nun zu ihm: Einleitend und zusammenfassend kann man sagen: Schleiermacher war wie kein anderer Theologe in seiner Zeit im Gespräch mit seiner Zeit. Er war im starken Dialog mit den modernen Denkern der damalige Zeit.
Sein Grundthema Gefühle sind wesentlich für den Glauben. Und Frömmigkeit ist eine Bestimmtheit des Gefühls. Es ist das Zentrum. Das Gefühl ist das Bestimmende des Glaubens. Gefühle fußen auf Sinnlichkeit und Wahrnehmung – er sagt: auf Anschauung.
Das ist für reformierte Ohren gewöhnungsbedürftig – allein das Wort hier von der Mitte der Kirche der Kanzel.
Zunächst zu seiner Vita: 1768 geb. – 1834 Tot – Irre Zeit: Goethe, Schiller – und zwar live dabei. Frankreich Revolution, Napoleon, spannende Zeit.
Vater war reformierter Pfarrer – hätte Spaß an dieser Kirche, später Herrnhuter Pietismus: Losungen: Zinsendorf. Die Welt mit ihrer Aufklärung für Vatern: ganz schlimm. Der kleine Friedrich: Herrnhuter Schule und auch zum Theologiestudium: eine Herr:nhuter Schule: Alles ganz fromm. Aufklärung: böse.
Er gerät in Schwierigkeiten. Einerseits muss man tief fühlen: so eine tiefe Freudigkeit: man weint, wenn die Leiden Jesu beschrieben werden. Und wenn nicht, ist man nicht fromm genug und außerdem muss man glauben: Jesus: wahrer Gott- wahrer Mensch- für uns gestorben, stellvertretendes Strafleiden und vieles Mehr: er stellte dazu viele Fragen: ich versteh das nicht so ganz. Antwort: darf man nicht hinterfragen – Es ist eben Geheimnis:
Ich selbst, wenn du Theologie studierst fällst du vom Glauben ab – schlimm. Und genau das sagt ihm auch sein Vater, als er ihm schreibt, dass er Fragen hat. Lies bloß nicht religionskritische Bücher – gehörten eigentlich in den Giftschrank. Nichts was Zweifel sät, weg damit – führt weg vom Herrn. Einmal falsches Buch gelesen, falscher Podcast…. Finger weg.
Schleiermacher antwortet: ich brauche Antworten –und er will weg von Herrenhut. Ich will nach Halle – zur Uni. Entzieh mir nicht den Segen und die finanzielle Unterstützung.
Vater is not amused. Du hast dich abgewandt vom Herrn, hast alles verraten, was wir dir beigebracht haben: persönl. Bruch: die beiden sehen sich nie wieder, auch wenn er sich seinem Vater verbunden wusste. Schleiermacher liest alles: Kant und andere verbotenen Bücher: Spinoza. Lessing. Er marschiert durch – ohne Gott. Wir befinden uns in den 90er Jahren: Mozart, Fichte, Schelling, Hegel, Voltaire…. Zeit der Romantiker. Er liest die nicht nur sondern erlebt sie: Er lebt mit Schlegel in einer WG. Ab 1796 war er so nebenbei Prediger an der Charité in Berlin. Das Nachtleben fand im Salon oder in der Mittwochgesellschaft statt: romantische Literaturkreise. Lyrik: man diskutiert und tauscht sich aus: oh eine neuer Brief von Goethe, Musik, viel trinken: am nächsten späten Nachmittag bevor Aldi zumacht, steht man auf.
Schleiermacher kann gut mitdiskutieren: Und man sagt ihm: du bist ein schlauer Kopf aber wir haben noch nichts von dir gelesen. Eine kleine Herausforderung. Und er beginnt sich in dieser Zeit mit Religion zu beschäftigen: Es gab eine Phase ohne Gott, aber nicht ohne Religion , es hat mich wieder eingeholt: 1798/99 Reden über die Religion. Alle lesen sie – auch Goethe (Hausgott). Alle fanden es wichtig. Manche fanden es toll (Novalis).
Mal im Kurzlauf: Er wird 1804 in Halle Prof. und später Neubegründung der Berliner Uni: führender Theologe der reformierten Theologie (Glaubenslehre 1823 – wichtigste theol, Werk): Zwischen Calvins Institutio und K. Barhs Kichl. Dogmatik ist es das theolg. Werk schlechthin. Ab 1817 als Präses der Vereinigten Berliner Synode, der an vorderster Stelle für die Einführung einer presbyterial-synodalen Kirchenverfassung kämpfte (Konflikte mit Friedrich Wilhelm dem 2.- der wollte das nicht: zu wenig preußsich -zu demokratisch) Schleiermacher wurde sogar aufgrund seiner kritischen Haltung zeitweise von der Polizei bespitzelt und überwacht. Interessant noch dass einer seiner Konfirmanden Otto von Bismarck hieß. Na mal sehen, was mal einer meiner Konfirmanden wird.
Um es kurz zu machen: Schleiermacher starb am 12. Februar 1834 an einer verschleppten Lungenentzündung.
Er versucht die Sprache der Intellektuellen zu sprechen zu Leuten, die der Kirche den Rücken gekehrt haben: Damals waren die Kirchen leer und die Theater voll.
Sein Text heißt: Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Religion – der christliche Glaube stand unter den gebildeten nicht hoch im Kurs. Denn es ist eine Schande, dass ihr noch richtig verstanden habt, worum es bei Religion geht. Ihr habt da was verpasst.
Was ist Religion: weder Moral (das sollst du tun und das lassen) noch Metaphysik – vernünftige Weltanschauung (Gott, die Schöpfung und das Ende der Zeit).
Religion ist weder Denken und Handeln, sondern Anschauung, ist Gefühl, ist das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit – so sagt er später in seiner Glaubenslehre.
Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche.
Und keine Bildung ohne religiöse Bildung
Religion ist nicht individualistisch – sondern Religion braucht Geselligkeit.
Kirche und Staat muss getrennt sein: Religion darf nie unter Druck geschehen. Religion braucht die: wechselseige Anregung. Brüdergemeinde und der romantische Salon prägten die Einsicht: alle dürfen in Freiheit sich äußern – ohne Zwang – ohne dass da oben diktiert was richtig oder falsch ist. Und gerade damit legte er sich eben mit König Friedrich Wilhelm, der am liebsten die Aufklärung verboten hätte, diese ganze Religionskritik: Wir brauchen die Religion als Kit für die Gesellschaft und Kirche als moralische Instanz. Ohne den strafenden Gott, ohne den christlichen Glauben macht ja jeder was er will. Wir würden heute sagen: jo, das stimmt auch – zum gewissen Grade.
Doch er möchte den Glauben nicht verteidigen gegen das moderne Denken der Aufklärung. Kants Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit: ist gut. Es ist fatal, wenn wir Religion retten wollen, indem wir sagen: alles was in der Bibel steht, musst du glauben: da steht alles drin, was biologisch naturwissenschaftlich usw. wichtig zu wissen ist.
Und das 2. Religion ist weit mehr als Moral. Religion ist gut, weil sie zweckfrei in sich und für sich wahr ist. Nicht weil sie nützlich ist – eben als Mittel zum Zweck. Schleiermacher sagt mit I. Kant: für gutes Handeln braucht man keinen Glauben – das sagt einem schon der gesunde Menschenverstand. Auch heute: es gibt so viele Menschen, die mit Jesus nix am Hut haben und dennoch Gutes tun, einfach: ich helfe, weil ich helfen möchte…. Ist für mich selbstverständlich, ist einfach richtig. Schleiermacher: Es ist doch schlimm, wenn wir Gutes tun, nur weil Gott es will, weil ich damit vor Gott glänzen möchte, nein, sondern tue Gutes, weil es gut ist, weil es gut tut – aus Mitleid.
Das Interessante ist nun, dass er zwar einerseits gut die Erkenntnisse der Aufklärung verteidigen konnte, aber er hatte nicht wie andere Theologen das Bestreben: wir müssen die reine Vernunft und die praktische Vernunft (I. Kant) mit dem christlichen Glauben verbinden und am besten davon herleiten. Christlicher Glaube als reine Kopfsache.
Schleiermacher sagt: Religion ist doch keine Grübelkiste in der Birne, sondern Religion ist in erster Linie Gefühl. Der Glaube ist doch keine Vernunftgeschichte sondern eine Gefühlssache und dann beschreibt er einzelne relig. Gefühle.
Ehrfurcht und Demut – gegenüber der Welt (Oberhausen Gasometer: Hubbard Teleskop: Blick in die Sterne und schwarzen Löcher betrachtet: Hammer!) Ich betrachte das Universum und in mir durch diese Anschauung und sinnliche Wahrnehmung wird die Ehrfrucht geweckt vor der Schöpferkraft Gottes. Eben nicht: ja – das ist ja alles auch interessant und diese Instrumente – und ja wenn man das mal mathematisch durchrechnet: alles nüchterne Erkenntnis – sondern großes Ehrfurchtsgefühl. Und diese Ehrfurcht macht andererseits demütig: gegenüber dem Weltall muss ich sagen: wer bin ich schon in diesem großen Weltall. Wir sind doch alles arme kleine Würstchen unter lauter andren armen kleinen Würstchen, nur die meisten davon sind um die Erkenntnis blind, dass sie auch nur arme kleine Würstchen sind.
Demut: als Reaktion der Ehrfrucht: = Religion – er würde mit uns heute vielleicht auch Spiritualität nennen.
Oder er nennt die Zuneigung als rel Gefühl: Grundverbundenheit mit seinen Mitmenschen.
Er nennt die Dankbarkeit als religiöses Gefühl. Wofür wir nicht alles dankbar sein können. Dieses Gefühl der Dankbarkeit ist Religion.
Oder das Gefühl des Mitleidens und Mitgefühls- der Barmherzigkeit: es tut einem leid, wenn wir Dinge sehen, die uns nachgehen – wir trauern mit.
Diese Gefühle sind alle deshalb religiös, weil man sie nur schlecht einfordern kann: jetzt sei doch mal ehrfurchtsvoll, wenn du die Alpen siehst. Oder sei doch mitleidig, sei doch mal dankbar. Das wäre nicht echt – wäre erzwungen. Nein, diese Gefühle sind religiös, weil sie es Erfahrungen der Ergriffenheit sind. Zitat: Alles Anschauen geht zurück auf einen Einfluss des Angeschauten auf den Anschauenden.
Oder: auch Zitat: Religion ist Sinn und Geschmack für das Unendliche (wir würden Gott sagen). S. redet vom Unendlichen, vom Universum. Jetzt könnte man vermuten: ja redet er da nicht so nach dem Motto: jeder darf irgendetwas Religiöses glauben – Hauptsache er und sie ist religiös in Schwingung. Irgendwie lösen ja alle Religionen auch religiöse Gefühle aus – ist doch auch gut.
Nein: Schleiermacher es gibt keine allgemeine Religion. Religion ist immer konkret. Und warum ist das Christentum die entscheidende: er bündelt alles in seiner 5. Rede. Christus und das Kreuz.
Freie Spiritualität ist ein Irrtum. Ihr denkt: frei vom kirchlichen und biblischen Denken Religion denken zu können, das bedeutet Freiheit. Irrtum: denk doch mal nach: alles was Du unter Religion denkst: ist doch letztlich geprägt von deiner Biographie, deiner christlichen Prägung, deiner Geschichte.
Das Christentum kann alle religiös wichtige Themen verknüpfen, weil es alles abdeckt: Gottheit und Menschheit: Schuld Böse und Gewalt: Liebe und Verzeihen. Im Christentum vermischen sich Verlust mit Liebe- ganz deutlich im Kreuz. Das Kreuz ist in die große Geschichte des Universums gestellt.
Christentum ist sowohl die konkreteste als auch die universellste Religion.
Was können wir von Schleiermacher mitnehmen: Die Betonung des Gefühls als eine unverfügbare Ergriffenheit. Ergriffenheit kann man nicht erzwingen. Ja, mein Glaube muss sich auch in meinen Gefühlen ausdrücken: ich lese gerade einen Krimi. Eine Frau ist total von der Rolle aus lauter Trauer über den Verlust der Ermordeten und sie streitet mit ihrem Mann, weil er sie trösten möchte – bis er ihr sagt: Was ist denn mit deinem Glauben und der Hoffnung auf das Leben nach dem Tod. Und dieser Hinweis hilft ihr sich zumindest wieder aufzurichten.
Und sicher gibt es noch viele andere Gefühle: Gottesdienste, die Musik, der Segen, die Gemeinschaft. Sein christlicher Glaube ist auf Gemeinschaft ausgerichtet. Schleiermacher hat sicher das von Zinsendorf und Herrenhut. Ohne Gemeinschaft ist mein Glaube wie eine glühende Kohle, die man herausnimmt aus der Glut der anderen Kohlen – sie wird schnell verglimmen.
Und: Keine Angst vor Wissenschaft vor keinen vernünftigen Büchern. Immer mit dem Wissen: auch Wissenschaft liefert immer nur vorläufige Ergebnisse insbesondere bei ihren Theorien. Die Quantenmechanik – und das Beschreiben eines Atoms- letztlich der Materie muss einen eigentlich auch ehrfürchtig und demütig machen. Redliche Wissenschaftler dürften die Möglichkeit von Wunder demnach nicht ausschließen.
Zum Schluss möchte ich mich aber auch kritischen Tönen anschließen. Karl Barth sah die Gefahr, dass Schleiermacher die Wahrheit des christlichen Glaubens vom Gefühl abhängig macht. Nur das ist von Relevanz, was sich in mir – in meinen Gefühlen widerspiegelt. Doch diese Wahrheiten gelten ja auch dann, wenn ich eben nicht diese Gefühle habe. Für mich muss die Einsicht, Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit des Evangeliums Vorrang haben. Die Wahrheit des Evangeliums bestimmt dann auch meine Gefühle – aber nicht umgekehrt nicht meine Gefühle bestimmen die Wahrheit des Evangeliums.
Schließen möchte ich aber mit einem Satz Schleiermachers, der m.E. nicht aktueller sein könnte:
„Sobald man die Gesellschaft nur als Mittel für den Egoismus braucht, muß alles schief und schlecht werden.“
―Friedrich Schleiermacher
Gehalten von Pfarrer Thomas Schorsch am 17.08.2025 in der Evangelischen Kirche Gräfrath
Am 23. August 2024 wurden drei Menschen durch das furchtbare Messerattentat beim Solinger Stadtfest ermordet und viele weitere an Leib und Seele verwundet. Am 1. Jahrestag sind öffentliche Gedenkfeiern geplant, zu denen die Stadt gemeinsam mit den Kirchen einlädt. Außerdem ist die Stadtkirche am Fronhof für Stille, Gebet und Gespräche geöffnet. Ein Gottesdienst am Sonntagmorgen wird an den Terrorakt erinnern.
Am Jahrestag selbst, am Samstag, 23. August 2025, wird es ab 13.00 Uhr eine öffentliche Gedenkfeier vor dem Hauptportal der Stadtkirche geben. Bei der von der Stadt Solingen und der Evangelischen Kirche organisierten Veranstaltung werden unter anderem Oberbürgermeister Tim Kurzbach und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sprechen. Einen textlich-musikalisch-optischen Impuls gestalten Superintendentin Dr. Ilka Werner, die Designerin Ulrike Bruchhaus und die evangelische Kreiskantorin Stephanie Schlüter. Musikalische Beiträge kommen von den Bergischen Symphonikern. Im Anschluss lädt die Stadt Teilnehmende ein, am Rande des Fronhofs bei einem Imbiss ins Gespräch zu kommen. Weitere Mitglieder der NRW-Landesregierung sowie der Bundes- und die Landesopferbeauftragte haben ihre Teilnahme an der Gedenkfeier zugesagt.
Am Abend laden die Evangelische Kirche in Solingen und die Stadt zum Tatzeitpunkt um 21.37 Uhr zu einer kurzen Trauerfeier an der Gedenktafel ein. Beginn ist um 21.30 Uhr. Nach einleitenden Worten von Superintendentin Werner und der Vorsitzenden des Solinger Katholikenrats, Dr. Ulrike Spengler-Reffgen, können zum Gedenken an die Opfer Kerzen entzündet werden. Kerzen können mitgebracht werden, sind aber auch vor Ort erhältlich. Eine Schweigeminute und ein musikalischer Beitrag werden die Trauerfeier beschließen.
Während der gesamten Zeit wird die Stadtkirche von 13 bis etwa 22.15 Uhr geöffnet sein. Dabei soll der Kirchraum für Stille und Gebet reserviert bleiben. Im Cafébereich sind Gespäche möglich. Wer die Gedanken und Gefühle zu dem schrecklichen Ereignis vor einem Jahr gerne mit jemand anderem teilen möchten, findet dort geschulte Ansprechpersonen von der Notfallseelsorge. Da an diesem ersten Jahrestag des Attentats mit bundesweiter Berichterstattung zu rechnen ist, wird für das gesamte Innere der Stadtkirche ein Fotografierverbot gelten. Menschen sollen ungestört trauern und gedenken können.
Am darauffolgenden Sonntag, 24. August 2025, laden ab 10 Uhr die Evangelischen Gemeinden der Region Mitte alle Solingerinnen und Solinger zu einem Gedenkgottesdienst ein. Die Gestaltung des Gottesdienstes übernehmen Superintendentin Dr. Ilka Werner, Stadtkirchenpfarrerin Friederike Höroldt sowie der Dorper Pfarrer Jo Römelt, der auch die Predigt halten wird.
Quelle: www.Klingenkirche.de
Liebe Geschwister, wie politisch darf, kann oder muss die Kirche sein? Diese Frage nach der rechten Aufgabenverteilung zwischen Kirche und Staat war für Dietrich Bonhoeffer ein Lebensthema. Er wurde 1906 in eine Familie hineingeboren, die großbürgerlich und akademisch war und die wichtige Staatsdiener wie Kirchenmänner in ihrem Stammbaum hatte. Dietrich wuchs in der Nachbarschaft mit Professorenkindern und Kindern hoher preußischer Staatsdiener auf. Sein Vater war Mediziner und Universitätsprofessor in Berlin. Zu seinen Vorfahren gehörten staatliche Juristen und staatlich-kirchliche Theologen. Bis zum ersten Weltkrieg war das Landeskirchenamt in Berlin eine preußische Regierungsbehörde. Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche galt bei der damals in Berlin dominierenden lutherischen Theologie anders als heute nicht als Gegenüber. Kirche und Staat galten als zwei sich ergänzende Instanzen, durch die Gott die Gesellschaft ordnete. Ein Grundpfeiler dieser Theologie war der Römerbrief des Apostel Paulus. Im 13. Kapitel heißt es dort: „Es gibt keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung.“ Staat und Kirche waren für die lutherische Theologie zwei Seiten der einen Medaille Obrigkeit: Für Zucht und Ordnung sorgte auf der einen Seite der Staat durch Justiz, Militär und Polizei, auf der anderen Seite die Kirche durch die Predigt von Sitte und Moral. Und indem sie darauf verwies, dass staatliches Handeln vorläufig notwendig ist, weil die Welt eben noch nicht das Paradies ist.
Für Dietrich Bonhoeffer war diese Rollenverteilung selbstverständlich, als er sich früh entschloss, Theologie zu studieren. Er war hoch intelligent und fleißig: Mit erst 21 Jahren schloss er das Studium ab: nicht nur mit dem Ersten Theologischen Examen, sondern auch mit seiner Promotion zum Doktor der Theologie. Für ihn gab es jetzt zwei Möglichkeiten: Er konnte entweder an der staatlichen Uni bleiben und wie sein Vater, Großvater und Urgroßvater eine Karriere als Universitätsprofessor anstreben. Oder er konnte sich von der Kirche praktisch zum Pfarrer ausbilden lassen. Dietrich Bonhoeffer entschied sich für – beides: Vikar und wissenschaftlicher Theologe. 1930 machte er dann wieder zwei Abschlüsse: Bei seiner Kirche legte er die Zweite Theologische Prüfung als Voraussetzung fürs Pfarramt ab. Und an der Universität seine Habilitation, also eine große wissenschaftliche Arbeit als Voraussetzung für eine Laufbahn in Lehre und Wissenschaft.
Bonhoeffer hatte es mit 24 schon sehr weit gebracht. Aber fürs Pfarramt musste er mindestens 25 sein. Also entschied er sich für ein Studiensemester an der Theologischen Fakultät in New York. Eher als Notlösung gedacht wurde dieses Jahr für Bonhoeffer prägend. In New York kam er raus aus der gelegentlichen Selbstgenügsamkeit deutscher akademischer Theologie und in Kontakt mit Vertretern der noch jungen weltweiten ökumenischen protestantischen Bewegung. Er lernte dort theologische Überlegungen kennen, die auf der Grundlage der Bibel nicht staatstragend waren, so wie er es aus Berlin kannte, sondern sozialkritisch. Er lernte christlichen Pazifismus kennen. Für ihn als deutschen von der lutherischen Theologie geprägten Theologen war das etwas Neues.
Im ersten Weltkrieg hatten Pfarrer die deutschen Waffen gesegnet. Und als junger Theologiestudent in Tübingen hatte Bonhoeffer selber noch an einer Art Wehrsportübung teilgenommen, wenn er auch mit rechtsnationalen Gedanken wenig anfangen konnte.
Noch als Vikar hatte er in einem Vortrag den Pazifismus abgelehnt und stattdessen den Kriegsdienst theologisch begründet: „Ich werde die Waffe erheben in der furchtbaren Erkenntnis, etwas Entsetzliches zu tun (…), aber die Liebe zu meinem Volk wird den Mord, wird den Krieg heiligen.“ (Bonhoeffer-Auswahl 1, 46). In New York begann Dietrich Bonhoeffer die Grundsätze lutherischer Theologie zum Verhältnis zwischen Kirche und Staat, wie er sie aus Deutschland kennengelernt hatte, infrage zu stellen. Stattdessen sympathisierte er dort erstmals mit pazifistischen Gedanken und träumte sogar davon, nach Indien zu reisen, um dort Gandhi kennenzulernen.
Stattdessen kehrte der 25-Jährige 1931 wieder nach Berlin zurück: Er trat eine Stelle als Dozent an der Berliner Theologischen Fakultät an, arbeitete gleichzeitig als Studentenpfarrer und übernahm auch noch Predigtdienst und Konfirmandenunterricht in einer Berliner Arbeitergemeinde. Als wäre das noch nicht genug, hatte er sich außerdem in ein wichtiges Ehrenamt der weltweiten ökumenischen Bewegung wählen lassen. Hier pflegte er die internationalen Kontakte, die sein weiteres Leben immer stärker prägen würden.
Zuhause an der Berliner Universität erregten seine Vorlesungen Aufmerksamkeit. Nicht nur weil er im Hörsaal die Studenten mit Gebeten überraschte. Sondern vor allem weil Bonhoeffer pazifistische Positionen vertrat, während ein immer größer werdender Teil der evangelischen Theologiestudierenden mit den Nationalsozialisten sympathisierte. In einem Vortrag von 1932 vertrat der akademische Lehrer nun eine ganz andere Auffassung als noch vier Jahre zuvor der Vikar. Er widersprach vehement der inneren Aufrüstung, die im Deutschen Reich längst wieder auf dem Vormarsch war, und verlangte auch von der Kirche klaren Widerspruch: „Der heutige Krieg vernichtet Seele und Leib (…) darum muss der heutige Krieg, also der nächste Krieg, der Ächtung durch die Kirche verfallen.“ (Bonhoeffer-Auswahl 1, 140).
Am 30. Januar 1933 kommt Hitler an die Macht. Die staatliche Obrigkeit, das sind nun die Nazis. Die im März 1933 erlassene Notverordnung des Reichspräsidenten sowie das Ermächtigungsgesetz heben viele Grundrechte der Weimarer Verfassung auf. Der Nazi-Terror gegen politisch andersdenkende und gegen jüdische Menschen hat nun eine rechtliche Basis. Der Großteil der lutherisch geprägten Kirche hat damit allerdings kein Problem. In einer Predigt verleiht der Berliner Generalsuperintendent Otto Dibelius dem Nazi-Terror sogar eine theologische Rechtfertigung: „Wenn es um Leben oder Sterben der Nation geht, dann muss die staatliche Macht durchgreifend und kraftvoll eingesetzt werden (…) Wir haben von Dr. Martin Luther gelernt, dass die Kirche der staatlichen Gewalt nicht in den Arm fallen darf, wenn sie tut, wozu sie berufen ist. Auch dann nicht, wenn sie hart und rücksichtslos schaltet.“
Dietrich Bonhoeffer hingegen denkt angesichts dieses staatlichen Terrors und der staatlichen Unrechtspolitik gegen alle Menschen, die er als „jüdisch“ bezeichnet, darüber nach, welche Aufgaben die Kirche in einem Unrechtsstaat haben kann. In einem später veröffentlichten Vortrag vor Berliner Pfarrern argumentiert er strikt theologisch und benennt drei Handlungsmöglichkeiten für die Kirche:
Erstens habe die Kirche die Pflicht, den Staat kritisch nach der Rechtmäßigkeit seines Handelns zu fragen. Zweitens müsse die Kirche sich um alle Opfer staatlichen Unrechts kümmern, nicht nur ihre um Mitglieder der Kirche. Und wenn die Kirche erkennt, dass der Staat seiner grundlegenden Aufgabe, Recht und Ordnung für alle zu schaffen, nicht mehr nachkommt oder nachkommen will, dann müsse die Kirche schließlich drittens unmittelbar politisch handeln. Also: widersprechen oder sogar widerstehen. In dieser Situation dürfe sich die Kirche um des Schutzes der Opfer willen nicht mehr aus der Politik heraushalten.
Kirche im Widerstand gegen den Staat? Für die allermeisten Theologen klang das unerhört. Selbst in der 1933 und 34 sich gründenden Bekennenden Kirche wollen viele sich nur gegen staatliche Angriffe auf die kirchliche Unabhängigkeit wehren. Nicht aber weil man dem NS-Regime angesichts der unzähligen Menschen, die es aus rassistischen oder politischen Gründen zu Opfer einer Terrorherrschaft macht, entgegentreten wollte. Bonhoeffer sieht sich in seiner Kirche isoliert. Er zieht sich zurück und tritt eine Pfarrstelle in der deutschen Auslandsgemeinde in London an.
Doch Bonhoeffer schöpft noch einmal Hoffnung, dass die Bekennende Kirche sich entschließt, für ihre Vikare eine eigene Ausbildung ohne staatliche Aufsicht zu gründen, um sich nicht mit dem Terrorstaat zu arrangieren. Um so eine Ausbildungsstätte für angehende Pfarrer zu leiten, kehrt der 29-Jährige 1935 aus London zurück. Es gibt Morgen- und Abendandachten, Meditationszeiten, viel theologische Arbeit und zahlreiche Gespräche darüber, was es bedeuten kann, als Pfarrer in einer Kirche zu arbeiten, die nicht staatlichen Regeln, sondern Christus folgt. Bonhoeffers Antwort lautet: Nachfolge bedeutet, kompromisslos nach der Bergpredigt zu leben.
Für Bonhoeffer bedeutet das auch, dass die Kirche dem staatlichen Antisemitismus wider-sprechen und sich für dessen Opfer einzusetzen hätte. Doch diese Haltung teilen selbst in der Bekennenden Kirche längst nicht alle. Der größte Teil der Evangelischen Kirche war sowieso staatstreu oder ganz nationalsozialistisch gesinnt. Der staatliche Druck auf alle Opposition steigt auch in der Evangelischen Kirche. Käme er nicht aus einer gutvernetzten großbürger-lichen Familie, hätte ihn die Gestapo vielleicht schon längst geholt. Da kommt 1939 das Angebot, einen theologischen Lehrauftrag in New York wahrzunehmen. Bonhoeffer reist über den Atlantik. Vielleicht ein Ausweg? Freunde in den USA beschwören ihn, dort in Sicherheit vor den Nazis zu bleiben. Aber es quält sein Gewissen, im Ausland in Sicherheit zu sein, während in Deutschland seine ehemaligen Vikare staatlichem Druck ausgesetzt sind. Er hat das Gefühl, dass Christus ihn in der Heimat braucht. Und reist nach nur einem Monat wieder ab.
Zurück in Deutschland wird Dietrich Bonhoeffer zu einer Art Doppelagent. Über familiäre Beziehungen lässt er sich als Mitarbeiter des Spionagedienstes der Deutschen Wehrmacht anstellen und übernimmt Kurierdienste in ganz Europa. Öffentlich bleibt er Teil der Bekennenden Kirche und der Ökumenischen Bewegung. Letztlich aber hat er sich im Untergrund der Verschwörergruppe angeschlossen, die an einem neuen Deutschland arbeitet und am 20. Juli 1944 das fehlschlagende Attentat auf Adolf Hitler unternehmen wird. Für Bonhoeffer stellt sich nicht mehr die Frage, wie er möglichst unschuldig bleiben kann. Für ihn stellt sich nur noch die persönliche Frage, was größer ist: die Schuld des untätigen Mitansehens oder die Schuld der Mitwirkung an einem Mordkomplott gegen den Tyrannen. Bonhoeffer hat sich entschieden und ist nun Teil des militanten Widerstands gegen Hitler. Die Hoffnung, die Evangelische Kirche zum wirksamen Widerstand gegen das NS-Regime bewegen zu können, hat er aufgegeben.
Fast vier Jahre geht das so. Dann klingelt im April 1943 die Gestapo. Aber von der Verschwörung, an der Bonhoeffer beteiligt ist, wissen sie noch gar nichts. Es geht um ein paar minder schwere Vorwürfe, aber richtig Verwertbares hat die Gestapo gegen Bonhoeffer zu dem Zeitpunkt gar nicht in der Hand. Als die brutalen Verhöre der ersten Tage nichts Verwertbares ergeben, werden seine Haftbedingungen wieder gelockert: Er kann im Tegeler Gefängnis bald regelmäßig Besuch empfangen, Briefe austauschen, sich mit Literatur versorgen lassen. Und er hofft, dass die anderen Verschwörer draußen ihre Arbeit endlich vollenden und das Nazi-Regime beseitigen können. Von seiner Kirche dagegen erwartet er gar nichts mehr. Im Mai 1944 schreibt er an einen Freund: „Unsere Kirche, die in diesen Jahren nur um ihre Selbsterhaltung gekämpft hat, als wäre sie ein Selbstzweck, ist unfähig, Träger des versöhnenden und erlösenden Wortes für die Menschen und für die Welt zu sein (…) Unser Christsein wird heute nur in Zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten.“ (WuE, S. 328)
Am 20. Juli 1944 scheitert das Attentat auf Hitler. Viele Verschwörer werden hingerichtet. Einige Wochen später findet die Gestapo Unterlagen, die Bonhoeffers Verstrickung in die Verschwörung zeigen. Er kommt in den berüchtigten Keller des Reichssicherheitshauptamtes. Die Haftbedingungen sind dort viel schärfer. Nur noch zwei Briefe erreichen danach die Familie. In einem schickt er seinen Silvestergruß mit den berühmten Worten „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Im Frühjahr 1945 werden Bonhoeffer und Mitgefangene nach Süden verlegt. Am 5. April befiehlt Hitler, die letzten Mitglieder der Verschwörergruppe umzubringen. Dazu gehört auch Bonhoeffer. Am 8. April hält er auf Wunsch seiner Mitgefangenen noch einmal eine Andacht. Am frühen Morgen des 9. April wird Dietrich Bonhoeffer einen Monat vor Kriegsende im bayerischen KZ Flossenbürg erhängt. Er wird nur 39 Jahre alt.
Wie politisch darf, kann oder muss also die Kirche sein? Die Antwort Bonhoeffers: Eine Kirche hat sich nicht um ihre Privilegien oder ihre eigenen Rechte zu kümmern. Sie hat sich auch nicht aus der Politik herauszuhalten. Sondern sie muss den Staat um Christi willen danach fragen, ob er überhaupt seine Daseinsberechtigung erfüllt: nämlich allen ein sicheres, menschenwürdiges Leben zu ermöglichen.
Ich finde, das muss auch heute der Maßstab sein, wenn sich Kirche zu Wort meldet. Kirche darf sich nur dann als Kirche Jesu Christi verstehen, wenn sie im Sinne Jesu für die geringsten Brüder und Schwestern eintritt und sich lautstark auch für deren Würde einsetzt. In diesem Sinne muss sie auch heute manchmal politisch sein.
Bonhoeffer lehrt uns aber auch, dass Kirche nie parteipolitisch werden darf. Darum darf sie ihre Äußerungen und Einmischungen nicht von irgendwelchen parteipolitischen Programmen oder Konzepten ableiten, sondern allein von dem, was sie nach gründlicher theologischer Arbeit in Christi Namen sagen zu müssen glaubt. Und sie muss klar erkennbar machen, dass sie nichts anderes tut. Manchmal macht das Politik in der Kirche nötig. Manchmal unmöglich.
Und Dietrich Bonhoeffer zeigt uns schließlich, dass es nicht nur um die Frage geht, wie politisch die Kirche sein darf, sondern auch um die Frage, wie politisch ich als einzelner Christenmensch vielleicht werden muss. Wie politisch oder unpolitisch die Kirche spricht oder handelt, befreit mich nicht aus der Verantwortung zu entscheiden, wo ich um Christi willen selbst politisch handeln muss. Diese Entscheidung kann ziemlich schwer sein. Dazu kann ich das Gespräch mit Gott suchen. Und wenn mich dieses Gespräch dann zu einem Ergebnis führt, muss ich ggf. handeln. Einfach raushalten, womöglich nur darüber schwadronieren, was andere, die Politik oder die Kirche, besser tun sollten, ist keine Option. Nicht nur für die Kirche insgesamt, sondern auch für uns Christenmenschen als Einzelne geht es in der Politik immer um zweierlei: ums Beten und ums Tun des Gerechten. Amen.
gehalten von Pfarrer Thomas Förster am 10.08.2025 in der Gräfrather Kirche
Gnade sei mit uns und Friede, von Gott, unserem Vater, und von unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen
Liebe Gemeinde! Die Kirchen in der Schweiz feierten erst 2019 ihr 500-jähriges Reformationsjubiläum. Denn in jenem Jahr wurde ihr Reformator Ulrich Zwingli, der am 1. Januar 1484 in Wildhaus in der Grafschaft Toggenburg in der Fürstabtei St. Gallen geboren wurde und damit nur wenige Wochen jünger als Martin Luther war, zum Pfarrer des einflussreichen Großmünsterstiftes nach Zürich berufen, wo er bis zu seinem Tod gewirkt hatte. Er wurde am 11. 10. 1531 als Feldprediger in der Schlacht bei Kappel am Albis, südwestlich von Zürich, gegen die katholischen Kantone von einem Gegner erschlagen, als er gerade seelsorgerlich mit einem Sterbenden betete.
Der Trailer zu einem Zwingli-Film charakterisiert eindrucksvoll die Umstände vor 500 Jahren: „Es war eine düstere Zeit, geprägt von religiösem Fanatismus und Gewalt.“ Zwingli und andere Reformer fühlten sich gerade von dem Satz Jesu aus Johannes 8, Vers 31 + 32 angesprochen: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger, und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“
Was war für den Züricher Reformator die Wahrheit? Die Wahrheit ergab sich allein aus Gottes Wort, das er, wie übrigens auch Luther, jetzt in deutscher Sprache seiner Züricher Gemeinde verkündigen wollte. Zugleich war er der Auffassung, dass sich von nun an niemand mehr zwischen Gott und uns Menschen stellen dürfe. Diese Auffassung hielt die hierarchisch geprägte katholische Kirche für ketzerisch, denn sie war doch in jener Zeit die alleinige Institution, die das Heil der Gläubigen verwaltete und die durch ihren Papst und durch ihre Priester, aber auch durch die vielen Heiligen die wichtige Funktion eines Brückenbauers zwischen Mensch und Gott innehatte. Nicht umsonst führt der Papst auch heute noch den aus der heidnisch-römischen Religion stammenden Titel „pontifex maximus“, oberster Brückenbauer.
Wie alle reformatorischen Bewegungen wollte auch die Erneuerung Zwinglis das Evangelium, die Heilige Schrift, die im katholischen Mittelalter nur eine untergeordnete Rolle spielte, zu neuem Leben erwecken und die Bibel gewissermaßen zur Magna Charta des Glaubens machen, so wie es der englische Theologe John Wiclif schon im 14. Jahrhundert formuliert hatte.
Zwingli propagierte auch die Freiheit eines jeden Menschen, und hieraus wird sichtbar, dass die Reformation eine Emanzipationsbewegung war, die jedem Menschen die religiöse Befreiung von der mittelalterlichen Kirche ermöglichen wollte und somit für einen freien und unmittelbaren Zugang des Gläubigen zu Gott eintrat.
Wie ist es zu diesen für die damalige Zeit revolutionären Ideen gekommen? Es war die Zeit des Humanismus , der sich auf die klassische Antike mit ihrer Humanitas und ihrem Ideal eines freien und selbstbestimmten Menschen bezog, wie man sie zum Beispiel bei Cicero vorfinden konnte. Die Gebildeten hatte die ständige Bevormundung durch die katholische Kirche satt, vor allem ihre unbarmherzige und lebensbedrohende Inquisition in Bezug auf alle abweichenden Glaubenslehren. Deshalb kehrten die Humanisten zu den Quellen „ad fontes“ zurück, zu den Originaltexten, und dazu gehörte auch die Bibel, die man jetzt selber in den Ursprachen Hebräisch und Griechisch lesen wollte. Die katholische Kirche sollte von nun an nicht mehr allein die unfehlbare Auslegerin der Heiligen Schrift sein, zumal sich ihre Päpste und Priester zum allergrößten Teil selber nicht an die biblischen Vorgaben hielten und zudem meist theologisch sehr schlecht ausgebildet waren.
Ulrich Zwingli hatte seit 1502 in Basel studiert und zu Beginn des Jahres 1506 seine Ausbildung mit dem Titel „Magister Artium“ abgeschlossen. Er hatte damit eine gängige spätmittelalterliche Gelehrtenausbildung erhalten, die in erster Linie darauf ausgerichtet war, die lateinische Sprache und die üblichen philosophischen Fundamentalbegriffe zu vermitteln. Wie viele seiner Zeitgenossen wechselte Zwingli bald nach dem Magisterexamen ohne gründliches Theologiestudium in die kirchliche Praxis und wurde dann im September 1506 in Konstanz zum Priester geweiht.
Schon in seiner ersten Pfarrstelle in Glarus, die er für 10 Jahre innehatte, und auch als Priester in dem bekannten Wallfahrtsort Maria Einsiedeln, wo er von 1516–1518 vor allem die Einwohner des Tales und auch die Pilger seelsorgerlich betreuen sollte, hatte sich Zwingli intensiv mit den Schriften des sehr berühmten Humanistenfürsten Erasmus von Rotterdam auseinander gesetzt, der von 1466 bis 1536 lebte, und auch das Griechische erlernt. Erasmus hatte 1516 eine kritische Edition des griechischen Neuen Testaments veröffentlicht und war mit dieser Leistung zum führenden Humanisten seiner Zeit geworden.
Im gleichen Jahr 1516 war Zwingli dem Erasmus, der in Basel wirkte, persönlich begegnet, und dieser Humanist hatte einen überwältigenden Eindruck auf ihn gemacht, sodass er ihn mit der zutreffenden Aussage würdigte, dass keiner sich um die Heilige Schrift so verdient gemacht habe wie er. Erasmus hatte Zwingli einen neuen, befreienden Zugang zur Schrift gelehrt und ihn auf das Zentrum der Bibel, auf die Verkündigung Christi, hingewiesen. Das Reformchristentum des Erasmus, der trotz seiner starken Kritik an der dekadenten Kirche katholisch blieb, propagierte besonders die christliche Predigt und verwahrte sich gegen ein Frömmigkeitswesen, das von kirchlichen Gesetzen und Geboten überfrachtet war und nur aus der ständigen Angst heraus praktiziert wurde, um nicht nach dem Tode wegen fehlender guter Werke unerlöst im Fegefeuer gepeinigt zu werden. Zwingli dachte zunächst ganz im Sinne des Erasmus nicht daran, das herrschende Kirchentum gewaltsam umzustürzen, sondern er wollte seine Gemeinde durch sein humanistisches Christentum sittlich verbessern und nach und nach eine geläuterte Frömmigkeit herstellen. Genauso wie Luther sah Zwingli in der Bibel die höchste Autorität. Sie ist die von Gott selbst inspirierte, irrtumslose Urkunde und als solche das Gottesgesetz, das alles Leben normieren will.
Dieser Gedanke, dass allein die Bibel die Magna Charta des Glaubens sei und über den Äußerungen des Papstes stehe, wurde schon, wie erwähnt, von dem englischen Vorreformator John Wiclif im 14. Jahrhundert vertreten, und dieses Bibel-zentrierte Denken bezahlte der böhmische Vorreformator Jan Hus auf dem Konzil zu Konstanz 1415 sogar mit seinem Leben, als er wegen seiner konsequenten biblischen Lehren als Ketzer verbrannt wurde.
Mit seinen reformkatholischen Ansichten im Sinne des Erasmus stellte Zwingli in Zürich die Predigt in den Mittelpunkt des Gottesdienstes und kritisierte die übermäßige Heiligenverehrung und prangerte das hoffärtige und wollüstige Leben der Mönche an.
Zwingli wurde auf Luther aufmerksam, als dieser auf der Leipziger Disputation im Sommer 1519 öffentlich die Irrtumslosigkeit der Konzilien bestritt und die heilsnotwendige Autorität des Papsttums leugnete. Allein die Schrift (sola scriptura) sei maßgebend, und der Papst könne und dürfe nicht der unfehlbare Ausleger dieser Schrift sein. Damit lehnte Luther kategorisch den Primat des Papstes und dessen normative Schriftauslegung ab.
Am 9. März 1522 versammelten sich am 1. Fastensonntag ungefähr ein Dutzend Leute im Hause des Züricher Buchdruckers Christoph Froschauer, und diese aßen zwei geräucherte Würste. Wenngleich Zwingli als einziger der Anwesenden nicht mitaß, um als Seelsorger eine gewisse Neutralität zu bewahren, so verfasste er im Frühjahr 1522 seine erste reformatorische Schrift: „Von Erkiesen und Freiheit der Speisen“ und machte mit Bezug auf das Neue Testament der erregten Züricher Bürgerschaft deutlich, dass es dem einzelnen freigestellt sei, in der Vorosterzeit zu fasten oder nicht. Eine Zeitschrift verglich vor kurzem die beiden reformatorischen Anlässe bei Luther und Zwingli mit der süffisanten Überschrift: „Statt Hammerschläge ein Mettwurstessen.“
Diese Fastenprovokation zog eine Untersuchung durch den Bischof von Konstanz nach sich, zu dessen Diözese auch Zürich gehörte, doch der Rat stellte sich hinter Zwingli und damit bröckelte die bischöfliche Autorität. In seiner supplicatio, einer Bittschrift an den Konstanzer Bischof Hugo, verlangte Zwingli im Sommer 1522 die Aufhebung des Zölibats und die freie Predigt des Evangeliums. Diese Eingabe erschien 2 Wochen später anonym in deutscher Sprache und appellierte auch an die politischen Instanzen, die Priesterehe zu erlauben und den Priesterfrauen und Kindern den üblichen rechtlichen Schutz zu gewähren. Die Frage der Priesterehe war mittlerweile für Zwingli selbst kein theoretisches Problem mehr, da er seit Anfang 1522 mit der gleichaltrigen Witwe Anna Reinhart in heimlicher Ehe lebte, die 1538 starb. Die öffentliche Trauung fand erst am 2. April 1524 statt und aus dieser Ehe stammten 4 Kinder.
Der Konstanzer Bischof Hugo forderte die Züricher Obrigkeit zur Einhaltung der kirchlichen Ordnung und zum Schutz der Kirche auf und bezichtigte den Reformator des Aufruhrs, der Kirchenspaltung und der Ketzerei.
Zwingli bestritt in seiner Antwort der kirchlichen Hierarchie wegen ihres verdorbenen Zustandes das Recht, in Bezug auf die Verkündigung des Evangeliums oder die kirchliche Ordnung überhaupt zu urteilen. Er meinte, das Volk könne keineswegs verführt werden, wenn es ihm darum gehe, die evangelische Lehre vorzulegen. Diese Predigt könne weder kirchenspaltend noch ketzerisch sein, da sie Christus verkündige, der das alleinige Fundament der Kirche sei. Zwingli meinte, der Bischof stehe auf der Seite der Menschenworte, die Reformgesinnten ständen auf der Seite Christi. Auf diesen schonungslosen Angriff reagierte Erasmus mit Entsetzen, und die klare und strikte Absage an die kirchliche Hierarchie wurde dann zum generellen Unterscheidungsmerkmal zwischen dem gemäßigten humanistischen Reformstreben und der eher revolutionären reformatorischen Erneuerung.
Zwingli drängte den unschlüssigen Rat zur 1. Züricher Disputation am 29. 1. 1523, wozu auch der Bischof aus Konstanz eingeladen war. Diese Disputation, für die Zwingli seine 67 Schlussreden verfasste, die als seine bedeutendste reformatorische Schrift gilt, blieb zwar ohne eigentliches Ergebnis, da der Führer der Gegner, der Konstanzer Generalvikar Johann Faber (26), der Versammlung das Recht bestritt, über die diskutierten Fragen zu entscheiden. Daher hörten die Leute des Bischofs nur zu und sollten sich nicht an der Diskussion beteiligen, sondern nur gegen diese in ihren Augen unrechtmäßige Versammlung protestieren. Aber der Rat entschied letztendlich, dass fortan alle Prediger das Evangelium zu verkündigen hätten. Somit kann man bei dieser Disputation auch von der Gründungsversammlung der evangelischen Kirche von Zürich sprechen.
In diesen Schlussreden, die Kernsätze aus Zwinglis Predigten beinhalten, machte der Reformator deutlich, dass das Evangelium die Grundlage des Glauben sei, und die Summe des Evangeliums sah er in Jesus Christus, der die Gläubigen mit seinem unschuldigen Leiden vom Tod erlöst hat. So vertrat Zwingli genau wie Luther das Prinzip des solus Christus und der sola scriptura, dass also allein Jesus Christus und allein die Bibel für den Glauben normativ seien. Mit dieser Definition lehnte Zwingli klar das kirchliche Lehramt und die unbiblischen kirchlichen Gebräuche ab und meinte: „Gott will, dass man allein auf Christus, das Haupt, hört, denn im Glauben an ihn besteht unser Heil. So lernt man, dass Lehren und Satzungen der Menschen zur Seligkeit nichts nützen.“
Auch in Zürich gab es im Herbst 1523 einen Bildersturm, doch Zwingli verlangte in seiner 2. Züricher Disputation vom 26. bis 28. 10. eine Beseitigung der unnützen Heiligenbilder auf geordnetem Wege durch die Obrigkeit.
Auch forderte der Reformator eine Neuordnung des Gottesdienstes mit der Beseitigung des unbiblischen Messopfers, da in ihm Christus noch einmal neu in unblutiger Weise durch die Hand der Priester für Gott geopfert werde, obwohl doch die Bibel in Johannes 3, Vers 16 genau das Gegenteil erklärt, dass nämlich Gott aus Liebe zur Welt seinen Sohn geopfert hat, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Zwischen 1523 und 1525 wurde die Kirche in Zürich durch eine Kommission aus Pfarrern und Mitgliedern des Rates Schritt für Schritt weiter reformiert, und diese Reform bedeutete einen radikalen Bruch mit dem katholischen Kultus und der katholischen Verfassung. Nichts wurde beibehalten, was sich nicht aus der Heiligen Schrift begründen ließ.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf den für Zwingli und die Reformation entscheidenden Satz zurückkommen: „Und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch freimachen.“ Was haben Zwingli und Luther in jener Zeit des Umbruchs für Wahrheit gehalten?
Ihre Leistung liegt vor allem darin, dass sie die Wahrheit des Wortes Gottes wieder entdeckt und somit die einzigartige Bedeutung des Evangeliums erkannt haben, aus dem hervorgeht, dass allein Jesus Christus das Haupt der wahren Kirche ist. Mit der Wahrheit war auch die Freiheit verbunden, und somit wurde die Reformation eine Emanzipationsbewegung von den Fesseln der mittelalterlich katholischen Kirche, die nicht nur die Welt, sondern auch die Unterwelt regieren wollte.
Leider haben auch die Reformatoren meist nur ihre eigenen Positionen als wahr angesehen und nicht zugelassen, dass andere religiöse Gruppen sich frei entfalten konnten, wie z. B. die Täufer, die gerade von der Züricher Reformation grausam verfolgt wurden. So wurde Felix Manz, der Führer der Täuferbewegung, 1527 in der Limmat ertränkt, weil er die Kindertaufe für unbiblisch hielt
Ich schließe mit einem Satz von Sebastian Castellio, der zunächst den Genfer Theologen Johannes Calvin geschätzt hatte. Als dieser jedoch den Spanier Michael Servet, der nicht an die göttliche Dreieinigkeit glauben wollte, in Genf als Ketzer verbrennen ließ, schrieb er 1554 gegen Calvin: „Einen Menschen töten, heißt nicht, eine Lehre verteidigen, sondern einen Menschen töten.“ Castellio vertrat die Auffassung, dass man einen Ketzer nur durch verbale Argumente und nicht mit der Todesstrafe überwinden dürfe: Die Kirche könne gegen abweichende Meinungen nur die von Paulus gemeinten geistlichen Waffen einsetzen.“ Wollen wir Gott danken, dass wir heute zwar in unterschiedlichen, aber doch versöhnten christlichen Konfessionen gemeinsam unseren christlichen Glauben bekennen und leben dürfen. Amen
gehalten am 03.08.2025 von Prädikant Dr. Holger Ueberholz in der Gräfrather Kirche