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Predigt 1Petr 2 21 Misericordias Domini 200426 Ketzberg
- Petrus 2,21-15: Denn dazu seid ihr berufen, da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Wenn wir, von heute aus gesehen, zurück ins dritte Reich schauen, in die Zeit des Nationalsozialismus, und auf die Kirche in dieser Zeit, dann hat es manchmal den Eindruck, als hätte es damals diejenigen Christen gegeben, die auf der Seite der Nazis waren und die „Deutsche Christen“ genannt werden, und auf anderen Seite die, die Hitler ablehnten, die Bekennende Kirche. Tatsächlich war die Lage sehr viel komplizierter. Zwar war die „Barmer Erklärung“, das grundlegende Dokument der Bekennenden Kirche, mit großer Einmütigkeit beschlossen werden. Aber wie mit dem nationalsozialistischen Staat umzugehen war, darüber gingen die Aussichten auseinander und die Nazis verstanden es geschickt, die unterschiedlichen Haltungen innerhalb der Kirche gegeneinander auszuspielen. Die einen sagten: Man dürfe nicht nur die verbinden, die unter das Rad gekommen sind, man müsse dem Rad in die Speichen fallen. Die anderen sagten: Es steht uns nicht zu, in die Politik einzugreifen. Wir haben uns um das Evangelium zu kümmern und Christus zu bezeugen, ganz gleich, wie die Verhältnisse sind. Dafür tragen wir Verantwortung. Wir mischen uns nicht ein, in was uns nichts angeht. Wir sind eine Minderheit, vielleicht auch ein Fremdkörper – aber wir wollen uns nicht aussondern, nicht in die innere Emigration auswandern, wir sind ein Teil des Ganzen, selbst dann, wenn es sich um ein totalitäres System, eine Diktatur handelt, weil wir nur so Christus bezeugen können.
In der DDR hatte die Kirche bewusst „Kirche im Sozialismus“ sein wollen. Sie wollte nicht sozialistische Kirche sein (genauso wenig wie nationalsozialistische Kirche vor dem Krieg), sondern Kirche an dem Ort, an dem sie sich gerade befindet, und den sie als gegebenen Ort annimmt, Kirche im Sozialismus. Damit war kein Wert-Urteil über den Sozialismus oder den Kommunismus verbunden, sondern das Bekenntnis: Wir nehmen die gegebenen Verhältnisse, in denen wir uns vorfinden an, sind der Ausgangspunkt für alle unsere Überlegungen und für alles kirchliche Handeln. Sie wollten weder gegen noch für die politischen Verhältnisse kämpfen, sondern einfach nur sagen: Das ist jetzt der Ort, an dem wir Kirche sind.
Heute haben wir eine völlig andere Situation. Staat und Kirche erkennen sich gegenseitig an, sie kooperieren miteinander, die Bundesrepublik wäre eine andere ohne die Kirchen und die Kirchen wären andere ohne den demokratisch verfassten Staat. Staat und Kirchen brauchen einander. Und dennoch: Irgendwie sind die Christinnen und Christen eine Minderheit im Gesamtgefüge der Gesellschaft. Wir haben nicht mit Repressionen oder Diskriminierung seitens des Staates oder der Öffentlichkeit zu kämpfen, wir haben alle denkbare Freiheit im wünschenswerten Ausmaß – wir haben eher zu kämpfen mit dem Desinteresse und der Gleichgültigkeit der Mehrheit. Wir sind so etwas wie Fremde oder Fremdlinge in der eigenen Heimat. Wir sind nicht Mainstream. Dadurch sind wir veranlasst zu fragen: Wer sind wir innerhalb unserer Umwelt? Wer sind wir innerhalb unserer Gesellschaft? Sind wir ein Teil von ihr, notgedrungen, zwangsläufig, oder wollen wir das auch bewusst sein?
Jesus hat gesagt: Gebt Gott, was ihm gehört – und dem Kaiser, was ihm zusteht. Und er sagt in der Bergpredigt: Ihr seid das Salz der Erde. Genau das ist das Thema des ersten Petrusbriefes. Er ist gerichtet „an die auserwählten Fremdlinge, die in der Zerstreuung leben“. Es geht um die Frage: Wer sind wir eigentlich, als über das Land zerstreute Minderheit in diesem riesigen, selbstbewussten römischen Reich auf der Höhe seine Macht mit ausgeprägten staatlichen, kulturellen und religiösen Strukturen? Wer sind wir, die wir immer wieder Repressionen ausgesetzt sind? Wer sind wir, die wir ständig Gehässigkeiten ausgeliefert sind und angepöbelt werden? Und wie gehen wir damit um? Wie sollen wir uns verhalten, wie sollen wir leben, wie treten wir in der Öffentlichkeit in Erscheinung? Das sind die Fragen, die die Christen in Kleinasien umtreiben und auf diese Fragen geht der erste Petrusbrief ein (der nicht von Petrus selbst geschrieben wurde, sondern gewissermaßen in Berufung auf ihn).
Und die Antwort auf diese Frage ist überraschend selbstbewusst. „Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, ein königliches Priestertum, ein heiliges Volk, ein Volk zum Eigentum, dass ihr verkündigen sollt die Wohltaten dessen, der euch berufen hat aus der Finsternis in sein wunderbares Licht“. So etwas kann man nur Menschen schreiben, die sei genau wissen wer sie sind. Die Zeitgenossen, die ihnen begegnen, spüren: Die sind sich ihrer Sache sicher. Die strahlen aus, wie sie in sich ruhen. Die sind ihres Glaubens absolut gewiss. Die müssen sich nicht für was auch immer entschuldigen oder rechtfertigen. Die wissen, was dran ist. Das ist genau das, was die Christen dieser Zeit ausstrahlen und womit sie die Menschen beeindruckt haben. Womit sie entweder ihr Interesse oder ihren Widerwillen hervorgerufen haben, wie es bei Jesus nicht anders war.
Und diese Haltung kommt aus dem Gefühl: Wir sind auserwählt. Wir sind Könige und Priester. Wir sind das Volk des Eigentums. Wir sind die Vorhut Gottes, nicht aus eigenem Entschluss, nicht aus eigener Vollmacht, sondern weil wir durch Christus selbst dazu erwählt und berufen sind, was durch unsere Taufe ausdrücklich bekräftigt worden ist.
Das könnte zur Überheblichkeit verleiten. Das ist die Sorge des ersten Petrusbriefes, dass das nicht passiert. Denn dann würden wir denen, die uns übelwollen, die nötigen Argumente gegen uns liefern. Wir würden Anstoß erregen – und das wäre denen sehr willkommen! Deswegen kommt jetzt alles darauf an, dass wir in jeder Hinsicht Vorbild sind und so leben, dass andere sich daran ein Beispiel nehmen werden können. Das gilt im Blick auf den Staat: „Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten oder den Statthaltern (…) Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr durch Tun des Guten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft als Freie und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit, sondern als Knechte Gottes.“ Das gilt im Blick auf die gesellschaftliche Ordnung: „Ihr Sklaven, ordnet euch in aller Furcht den Herren unter, nicht allein den gütigen und freundlichen, sondern auch den wunderlichen.“ Das gilt für den Umgang in der Gemeinde miteinander: „Seid allesamt gleich gesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig, demütig. Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, auf dass ihr Segen erbt.“ Das ist schon sehr konservativ im Blick auf politische und gesellschaftliche Verhältnisse und zu anderen Zeiten ist da auch – und mit gutem Grund – schon anderes gesagt und geraten worden. Worum es hier geht, und dass ist auch für uns von Bedeutung: Wir sind anders als die anderen. Deswegen schämen wir uns nicht, im Gegenteil: Wir sind stolz drauf! Weder verstecken wir uns damit noch setzen wir uns damit in Szene. Weder ducken wir uns verschämt damit noch posieren wir damit. Wir sind, was wir sind und wollen das auch sein – mehr nicht, und auch nicht weniger!
Ja, wir sind Fremdlinge in unsere Zeit. Aber was ist das eigentlich, was uns zu Fremdlingen macht, zu Ausländern gewissermaßen in der eigenen Heimat. Auch das wird im ersten Petrusbrief klar markiert und das ist der Inhalt des heutigen Predigttextes: „Ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen; er, der keine Sünde getan hat und in dessen Mund sich kein Betrug fand; der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet; der unsre Sünden selbst hinaufgetragen hat an seinem Leibe auf das Holz, damit wir, den Sünden abgestorben, der Gerechtigkeit leben. Durch seine Wunden seid ihr heil geworden. Denn ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen.
Uns unterscheidet von allen anderen, dass er, der von keiner Sünde wusste, unsere Sünden selbst hinaufgetragen hat auf das Holz (das Kreuz). Das ist die befreiende Botschaft. Er starb am Kreuz nicht, weil er Sünder war, sondern weil wir Sünder sind. Sein Kreuz ist unsere Befreiung, unsere Freiheit unser – und zwar endgültige – Rettung, für immer, und auch unser eigener Tod wird daran nichts mehr ändern können. Jetzt sind wir frei (der Sünde abgestorben, wie das hier ausgedrückt wird), wir brauchen uns um uns selbst nicht mehr zu kümmern und zu sorgen. Jetzt sind wir frei, um der Gerechtigkeit zu leben und durch unser Leben zu Zeugen der Gnade zu werden, der endgültigen Begnadigung. Jetzt sind wir frei, unser Leben so zu führen und zu gestalten, dass es die Anwesenheit Gottes mitten unter uns Menschen ausstrahlt – und zwar einfach dadurch, dass wir uns Leben, auch mit Blick auf unseren Staat, unsere Gesellschaft, unsere Familie und unsere Gemeinde bewusst, beständig, stetig und Gott gefällig leben. Mehr braucht es eigentlich nicht. Das ist jedenfalls die Sicht, wie sie im ersten Petrusbrief entfaltet wird.
26.04.2020 Stephan Sticherling