Neue Jahreslosung für 2020

Verlag am Birnbach – Motiv von Stefanie Bahlinger, Mössingen

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Markus 9,24

Auslegung der Jahreslosung 2020:

Angespannt sitze ich im Wartezimmer eines Arztes und hoffe auf ein gutes Ergebnis der anstehenden Untersuchung. Ich habe Angst, fühle mich hilflos. Viele Menschen aus meinem Bekanntenkreis mussten sich schon schweren Diagnosen stellen – warum sollte ich ausgenommen sein?

„Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“

Genau das spielt sich gerade in mir ab: „Ich glaube!“ – Ja, ich weiß mich in Gottes Hand. Ja, ER meint es gut mit mir. Ja, IHM ist nichts unmöglich!
Gleichzeitig rumoren in mir Gedanken wie: Kümmert Gott mein kleines Leben überhaupt? Warum bin ich nur so unruhig und besorgt? Wo bleibt mein Gottvertrauen? Wenn es darauf ankommt, verliere ich den Boden unter den Füßen. Dabei habe ich doch schon so oft Gottes Nähe und Hilfe erlebt …

So erging es bereits den Menschen, die mit Jesus unterwegs waren. Unglaubliches hatten sie mit ihm erlebt: Wie er lebensbedrohliche Wogen glättete, Stürme stillte, Tausende speiste und Kranke heilte. Doch oft machte sich schon bei der nächsten Herausforderung große Hilfslosigkeit breit, so dass Jesus sie fragte: „Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?“ (Markus 4, 40)

Genau das passiert wieder einmal. Ein Vater bringt seinen schwer kranken Sohn zu ihnen. Die Situation eskaliert, als sich auch noch Schriftgelehrte einmischen. Wie so oft gesellt sich zur Hilflosigkeit die Aggression. Einer fehlt. Jesus, der plötzlich dazu kommt und in die aufgebrachte Runde hinein fragt: „Was streitet ihr mit ihnen?“ Da platzt alles aus dem Vater heraus, die Angst um seinen Sohn, die Enttäuschung über die Ratlosigkeit der Jünger: „Und du selber warst nicht da – nur deine Jünger und die konnten uns nicht helfen!“ Jesus reagiert nahezu ungehalten: „O du ungläubiges Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen? Bringt ihn her zu mir!“ – und handelt. In Jesus Gegenwart bäumt sich noch einmal die lebensfeindliche widergöttliche Macht in dem Kranken auf. Der Vater setzt alles auf eine Karte und schreit verzweifelt: „Wenn du aber etwas kannst, so erbarme dich unser und hilf uns!“ Eine bewegende Szene. Ein grundehrlicher Mann, dieser Vater! So eine schlimme Krankheit kann eine komplette Glaubensexistenz erschüttern. Trotzdem mutet er sein Anliegen und seinen „Unglauben“ Jesus zu und fleht ihn um sofortige Hilfe an. Jesus schont ihn nicht und erwischt ihn an seiner Schwachstelle: „Du sagst: Wenn du kannst! Alle Dinge sind möglich dem, der da glaubt.“ Da brüllt der Vater verzweifelt:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Ein Hilfeschrei aus der Tiefe: „Ich glaube – wäre ich denn sonst zu dir gekommen? Ich kann es nicht ergründen, was das bedeutet, und was du von mir erwartest. Über letzte Konsequenzen dieses Versprechens bin ich mir nicht im Klaren. Und ich kann dir auch nicht beweisen, dass ich „richtig“ innig genug glaube …“ So folgt auf sein Versprechen die Bitte: „… hilf meinem Unglauben!“ Der Vater erkennt, dass nicht nur sein Sohn der Hilfe und der Heilung bedarf, sondern auch er selber, sein Glaube.

Ist die rote Figur in der Grafik der Künstlerin Stefanie Bahlinger dieser Vater, rot vor Anstrengung, seinen Sohn zu retten? Rot vom Weinen und Schreien um Hilfe? Sind die ausgebreiteten Arme eine Geste der Kapitulation? Immer wieder hat er versucht, die Hoffnung nicht aufzugeben. Jetzt kann er nicht mehr, hängt fest, hängt in der Luft. Damit steht er für alle Geschöpfe, die den Boden unter den Füßen verloren haben und sich nach Rettung sehnen. Für die Unsicheren, die nicht wissen, wem sie noch vertrauen oder an was sie noch glauben können. Für die vergeblich nach Orientierung Suchenden. Und auch für die, die sich ihres Glaubens gewiss sind und deren Glaube plötzlich durch eine Grenzerfahrung ins Wanken gerät.

Jesus kommt genau zum richtigen Zeitpunkt zu dem Vater und greift ein. Abruptes Ende einer aufregenden Geschichte.

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Dieser Aufschrei des Vaters ist ein erster Schritt des Vertrauens. Wie wunderbar, dass Jesus das nicht zu wenig ist!

Gleichzeitig bringt der Vater auf den Punkt, was ein Leben in der Nachfolge Jesu ausmacht. Eine Spannung, die mich nicht zerreißen muss, weil Jesus sich ganz in meine Lage versetzt und sie mit mir aushält. So wird die rote Figur zu Christus, der mich mit ausgebreiteten Armen empfängt. Durch sein Leiden und Sterben zerreißt Jesus den Vorhang zum Allerheiligsten, fällt die Mauer, die uns Menschen von Gott trennt. Angedeutet durch die dunkelblauen Fasern am Rand des Ausschnitts. Große Energie strahlt von Jesus Christus aus. Er stellt sich in den Riss, macht den Weg frei. Er eröffnet einen weiten Raum, und schiebt kraftvoll Mauern der Angst und Sorge weg, die mir und meinem Glauben die Luft zum Atmen nehmen.

Jesus sieht und erträgt meine Unsicherheit, wenn mein Glaube angesichts schwieriger Herausforderungen versagt. So begegnet und antwortet Jesus auch seinen von sich selber enttäuschten Jüngern: „Diese Art kann durch nichts ausfahren als durch Beten.“ (Markus 9, 29)
Intuitiv setzt der Vater die sprichwörtliche Einsicht: „Not lehrt beten“ um und ruft:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Dieses Bekenntnis ist zugleich ein Hilfeschrei, in dem er nicht nur seinen Sohn, sondern sein ganzes Leben Jesus anvertraut. Es ist ein Gebet der Hingabe an Jesus, dem nichts unmöglich ist. So können die Zacken in der Grafik auch dafür stehen, dass er diesen Sprung des Glaubens wagt im Vertrauen darauf, dass Jesus ihn auffängt. – Wenn das kein Glaube ist! Ein Glaube, der seine Kraft aber nie aus sich selber bezieht. Der nur lebendig bleiben und wachsen kann, wenn er in Jesus verwurzelt ist.

Und doch gibt es immer wieder Zeiten, in denen ich Jesu Nähe, seine Kraft, sein konkretes Eingreifen vermisse. Zeiten, in denen mein Glaube wankt. Was hindert mich dann zu rufen:

Ich glaube; hilf meinem Unglauben!

Und es gibt Zeiten, in denen mich Jesus herausfordert, über mich selbst und meine Möglichkeiten hinauszuwachsen. Kaum zu glauben, was er mir zu- und anvertraut! Kaum zu glauben, wie seine Möglichkeiten meine Grenzen sprengen! Daran können ihn weder Kleinglaube noch Unglaube hindern.


Motiv: Stefanie Bahlinger
Auslegungstext: Renate Karnstein
Verlag: www.verlagambirnbach.de

 

 

 

Predigt am 27.01.2019 zu 2. Mose 3,1-15 Gott und sein Name

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Kennt Ihr das? Ich gehe durch Solingen, bin in Gedanken völlig woanders, und schrecke plötzlich auf, weil jemand mich anspricht. Eigentlich hätte ich mich gar nicht erschrecken müssen, denn der andere kam mir ja schon eine ganze Weile entgegen. Aber wie gesagt, ich war in Gedanken und völlig woanders. Da nimmt man schon mal Dinge in der Umgebung nicht wahr, vor allem, wenn man sich auf einem bekannten Gelände, in einer bekannten Umgebung bewegt. Mir passiert das eben auch ohne, dass ich aufs Smartphone schaue. Die Augen sind zwar offen und nach vorne gerichtet, aber eigentlich bin ich wie blind.

Offene Augen für seine Umgebung haben ist aber grundsätzlich nicht verkehrt. Wie gut, dass es dem Mose nicht so ging wie mir, wie gut, dass es damals kein Smartphone gab, dass ihn ablenkte, denn so hatte er die Augen auf und nahm wahr, was es da in seiner Umgebung zu sehen gab. Hört aus dem 2. Buch Mose im 3. Kapitel den heutigen Predigttext:

„2.Mose 3,1-15 Moses Berufung
1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.  2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.  3 Da sprach er: Ich will hingehen und diese wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, dass er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Er sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Geschrei über ihre Bedränger habe ich gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.  8 Und ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie aus diesem Lande hinaufführe in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, in das Gebiet der Kanaaniter, Hetiter, Amoriter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter.  9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Drangsal gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst. 11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott dienen auf diesem Berge. 13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: „Ich werde sein“, der hat mich zu euch gesandt.  15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR, der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.

Was für eine Geschichte: Mose sieht in der Steppe einen brennenden Dornbusch. Das ist an sich nichts verwunderliches, Dornbüsche gibt es dort zuhauf, und es kommt immer wieder mal vor, dass sie in der Hitze des Tages Feuer fangen. Doch dieser Dornbusch war schon was Besonderes, denn er verbrannte nicht einfach. Und das will Mose dann genauer sehen. Und mit seiner Neugier beginnt seine Berufungsgeschichte und die Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten.

Einiges ist merkwürdig an dieser Geschichte, dies will ich kurz beleuchten: Dass Gott oder sein Bote sich im Dornstrauch befindet ist nach jüdischer Auslegung ein Zeichen dafür, dass er ein mitleidender Gott ist. Raschi, ein mittelalterlicher jüdischer Auslegung schreibt: „aus dem Dornbusch und nicht aus einem anderen Baum, wegen „mit ihm bin ich im Elend“ (Psalm 91,15). Und somit gibt der Vers schon einen Hinweis auf den Gottesnamen, den Martin Buber und Franz Rosenzweig in Ihrer Verdeutschung der Schrift mit „ICH BIN DA“ wiedergaben, zu verstehen als „ich bin mit dir“.

Das andere ist die Heiligkeit des Boden und das Ausziehen der Sandalen. Das müssen später auch die Priester in der Stiftshütte und im Tempel tun. Martin Vahrenhorst (Predigtmeditation im Christlich-jüdischen Kontext zur Perikopenreihe 1, Berlin 2018, S. 91)  schreibt dazu: „Der Vers oszilliert (schwankt) zwischen Distanz und Intimität, denn die Schuhe zieht man sich dort aus, wo man sich als Gast gleichsam zuhause fühlen darf. Oder geht es um etwas ganz anderes. Barfuß spürt man die Verbindung zum Erdboden besonders gut und manchmal auch schmerzhaft.“ – Der Mensch Mose, hebr. Adam, steht barfuß auf dem Erdboden, hebr. Adama. Vahrenhorst (ebenda S. 91) führt dies zu der Frage: „Muss man besonders gut geerdet sein, wenn man dem Gott Israels begegnen will?“ Diese Frage will ich so einfach mal  stehen lassen.

Die nächste Auffälligkeit ist, dass Mose sein Antlitz angesichts der Gottheit verhüllt: die Kippa der Juden hat in dieser Szene ihren Ursprung. Mose ist der erste, von dem dies erzählt wird und gleichzeitig ein Lebensthema des Mose angedeutet: Hier verhüllt er sein Antlitz. Später, nach der Befreiung des Volkes, wieder am Berg Gottes wird er vergeblich wünschen Gottes Herrlichkeit zu schauen. Und im Rückblick auf ihn wird es am Ende des 5. Mosebuches heißen, dass niemand wie er Gott von Angesicht zu Angesicht gekannt habe. (Anstoß von Vahrenhorst, ebd. S. 91f.)

Dann kommt Gott zu seinem Rettungsplan: Er, der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat das Schreien seines Volkes gehört. Er erinnert sich an seine Verheißungen, und will das Volk nun aus der Sklaverei befreien und Mose soll dabei die handelnde Person sein.

Auf den ersten Einwand Mose: „Wer bin ich?“ antwortet Gott mit der Zusage: „Ich werde mit Dir sein!“ (Hier schon die Vorwegnahme des Gottesnamens)

Es war üblich, dass die Götter im Alten Orient Namen hatten, also fragt Mose nach: „Welchen Namen soll ich sagen? Wer bist Du?“ Und die Antwort Gottes ist „Ich bin der ich sein werde“ nach der Übersetzung von Luther, „ICH BIN DA“ im Sinne des ich bin mit dir bei Martin Buber und Franz Rosenzweig und als solcher erweist er sich als der Gott der Väter, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Der Mensch und seine Identität und Gott seine Identität sind auf einander bezogen:

Der Mensch ist der, mit dem Gott ist.
Gott ist der, der bei dem Menschen ist.“

Zusammengenommen: Der mit seinem Volk mitleidende Gott spricht aus Dornbusch Mose an. Geerdet erst ist er zur Zwiesprache mit ihm bereit. „Das Mit-Sein Gottes, das vor dem Leid nicht halt macht“, daran hat sich Gott gebunden.

Wenn Gott so klar Stellung bezieht, dann sollten wir das auch, und damit bin ich noch mal beim heutigen Datum (27.01. Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus, Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz): 1986 wurde Elie Wiesel mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Er hat immer wieder an die Shoah, die Vernichtung der Juden durch die Nazis erinnert, ist aber nie bei einer Erinnerung stehen geblieben. In seiner Rede bei der Verleihung ruft er zu Konsequenzen auf: „Wir müssen Partei ergreifen. Neutralität hilft dem Unterdrücker, nicht dem Opfer. Schweigen ermuntert den Folterer, niemals den Gefolterten. Manchmal müssen wir einschreiten. Wenn menschliche Leben bedroht sind, wenn menschliche Würde in Gefahr ist, werden nationale Grenzen und Gefühlslagen irrelevant. Wo auch  immer Männer und Frauen wegen ihrer Rasse, Religion oder wegen ihrer politischen Ansichten verfolgt werden, dieser Ort muss – in diesem Moment – das Zentrum der Welt sein…“ Und wenig später fährt er fort: „So lange wie ein Dissident im Gefängnis sitzt, ist meine Freiheit keine wirkliche. So lange wie ein Kind hungrig ist, werden unsere Leben von Pein und Scham gefüllt sein. Was all diese Opfer vor allem anderen brauchen, ist, das sie wissen, dass sie nicht alleine sind; dass wir sie nicht vergessen; dass wir, wenn ihre Stimmen erstickt werden, ihnen unsere Stimme leihen, dass während ihre Freiheit von uns abhängt, die Qualität unserer Freiheit von ihnen abhängt.“ Und das ganze geht hin zu einem weiteren Satz: „Unsere Leben gehören nicht uns allein, sie gehören all denen die uns verzweifelt brauchen.“ (Alle Passagen der Rede übersetzt nach https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/1986/wiesel-acceptance_en.html)

Vergangenheit, Bibeltext und Gegenwart zusammengebracht könnte das so heißen: Gott ergreift Partei. „Gott leidet mit seinem Volk mit“ – Sein Name ist Programm „Ich bin mit Dir“. Gott greift ein, weil er sich erinnert. Mose wird berufen und das Projekt der Befreiung der Israeliten in Angriff genommen.

Immanuel „Mit uns ist Gott“ – so ist der verheißene Name des Messias.

Wir Christen glauben, dass Jesus dieser verheißene ist. Jesus hat es gemacht wie Gott, er war an der Seite derjenigen, die keine Stimme hatten und hat für sie Partei ergriffen und sie so gestärkt und ist ihnen so zum „Gott mit uns geworden.“

Was Elie Wiesel aus menschlichen Gründen fordert, müssen wir aus theologischen, aus Glaubensgründen fordern.

Wir müssen Partei ergreifen, für die, denen ein gelingendes Leben vorenthalten wird. Wir müssen unsere Stimme erheben, wenn Menschen mundtot gemacht werden sollen.

Wir müssen auf der Seite der Schwachen stehen und klare Kante zeigen.

Dietrich Bonhoeffer hat es einmal so formuliert: „Wir müssen so leben, als wenn es Gott nicht gäbe.“ Und das nicht resignativ, sondern voller Hoffnung:

Gott, der mit seinem Volk Israel litt und es befreite,

Gott, der mit seinem Namen „Ich bin da“ sich immer noch an Menschen bindet und mit den Unterdrückten leidet,

Gott, der Vater Jesu Christi wird die Welt am Ende zurechtbringen. Und mit dieser Hoffnung im Rücken können wir heute traurig gedenken und zugleich voll Hoffnung in die Zukunft blicken und unsere kleinen Schritte in Richtung seines Reiches tun. Amen.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Mein Konfirmationsspruch – Predigt von Superintendentin Dr. Ilka Werner

Die Predigt wurde gehalten am 12.08.2018 in der Ev. Kirche Gräfrath.

Predigt Gräfrath, Konfirmationsspruch Joh 14,6, 12.8.18

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus. Amen.

„Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Liebe Gemeinde,

ich habe mir diesen Vers ausgesucht, vor vielen Jahren, mit 13, als Konfirmandin. Wir hätten uns auch einen Vers geben lassen können vom Pfarrer, aber das kam für mich irgendwie nicht in Frage.

Ich habe mir damals viel Mühe gemacht, zwei Cousinen wurden vor mir konfirmiert, und ich hatte die Gottesdienstprogramme, in denen die Bibelstellen der Konfirmationssprüche abgedruckt waren, aufgehoben. So habe ich irgendwann abends in meinem Zimmer gesessen und in meiner Bibel die etwa 60 Sprüche nachgeschlagen – damals waren die Konfi-Gruppen noch richtig groß, geburtenstarke Jahrgänge halt. Was mir gefiel, habe ich rausgeschrieben und in die engere Auswahl genommen. Am Ende blieb dieser übrig: „Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“

Warum ausgerechnet dieser Vers mir besonders gefiel? Genau weiß ich es nicht hat mehr, ich denke, Weg, Wahrheit und Leben gefielen mir, das hatte was Orientierendes, ohne einzuengen, etwas Dynamisches, etwas, dass mir damals groß und ausreichend für ein ganzes Leben vorkam. Es hat mich nie gestört, wenn ich etwas nicht gleich verstanden habe, im Gegenteil, ich fand es gut, denn im Nicht-gleich-verstehen steckte die Verheißung, dass das Denken spannend bleiben würde. Diesen Gedanken mag ich bis heute, dass die Bibel oder auch Philosophie und Literatur einen Überschuss über mein Begreifen haben und eben größer sind als mein Verstehen — einfach, weil es dann nicht langweilig wird und auch, weil ich es hassen würde, die Welt entschlüsselt und damit irgendwie auch erledigt zu haben.

Ich bekam also diesen Vers zugesprochen, und das war es dann erst mal. Vergessen habe ich ihn zwar nicht, aber wichtig oder so war er auch nicht.

Als ich anfing, Theologie zu studieren, wurden die Texte und Geschichten, an die ich mich aus Kindergottesdienst und Konfi-Zeit erinnerte, wichtig – daran konnte all das Neue, das ich hörte und las, andocken. Und: Texte, die ich kannte, ließen sich leichter aus dem Hebräischen oder Griechischen übersetzen.

Ich glaube, ich habe damals zum ersten Mal den Zusammenhang von meinem Konfirmationsspruch gelesen. Da heißt es drumherum:

Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn´s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.“ Spricht zu ihm Thomas: „Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?“ Jesus spricht zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.“

Abschiedsreden Jesu, so nennt man diesen Abschnitt und die folgenden Kapitel, wo Jesus kurz vor seinem Tod, den er wohl schon kommen sah, seinen Jüngern sagt, was sie unbedingt wissen sollen. Hier geht es ihm darum, die Seinen zu trösten und zu beruhigen. Hier geht es darum, dass er sie nicht verlässt – die Lebensgemeinschaft, die sie in der gemeinsamen Zeit entwickelt haben, geht nicht zu Ende, auch wenn Jesus „geht“, so ist da, wo er sein wird, Platz und Wohnung auch für die Jünger und Anhängerinnen, und, so verspricht er, er wird kommen und sie holen.

Er sagt: Wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.

Und Thomas, der immer ungläubige Thomas, stellt die naheliegende Frage: Wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?

Recht hat er – und nichts verstanden!

Recht, weil man ja schon eine Adresse oder so etwas braucht, um irgendwohin zu gelangen und zu wissen, ob man den Weg wirklich kennt – ohne Adresse hilft auch kein Navi und keine Karte. Und nichts verstanden, weil es eben nicht um ein Ziel irgendwo auf dieser Erde geht, an dem sich Jesus und die Seinen wieder zu treffen versprechen. Es geht nicht um ein Ziel, es geht um eine Beziehung.

Jesus zeigt nicht bloß Weg, Wahrheit und Leben, er ist es. Wir kommen nicht über ihn zum Vater, der irgendwo anders ist, sondern wenn wir mit ihm sind, sind wir mit dem Vater, mit Gott.

Mit dem Versuch, das zu verstehen, zu begreifen, wird es bestimmt nicht langweilig — so gesehen habe ich damals einen guten Griff getan, das wurde mir im Studium klar. Mein Vers bringt ins Nachdenken. Es geht nicht darum, einen Weg gezeigt zu bekommen, die Wahrheit gesagt zu bekommen und das Leben beigebracht zu bekommen – das wäre es, wenn Jesus für uns Lehrer oder Vorbild oder so etwas wäre: Wir würden von ihm lernen, ihn nachahmen, und irgendwann wüssten wir den Weg, kennten wir die Wahrheit und hätten das Leben im Griff. Und könnten auch ohne Jesus weitermachen und weiterkommen und wüssten, was gut und was böse ist, was richtig und was falsch. Genau das geht aber nicht.

Es geht darum, in dem lebendigen Jesus Weg, Wahrheit und Leben zu suchen und in der Beziehung mit ihm zu finden. Und: „finden“ heißt dann nicht „haben“ oder „wissen“, sondern „leben“, oder „zu leben versuchen“. Damit wird man im Leben nicht fertig.

Und konkret, für den Alltag, bedeutet das eine ganze Menge. Nämlich, aus dieser Beziehung zu Jesus heraus offen zu sein für die Art, in der sich seine Wahrheit und sein guter Weg erweist.

Denken Sie an die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin: Ja, es gibt ein Gebot, das Ehebruch verbietet. Aber darum geht es Jesu Gegnern, die wollen das Gebot durchsetzen. Jesus geht es darum, der Frau den Weg ins Leben und in die Gemeinschaft, in die sozialen Beziehungen zurück zu ermöglichen. Darum macht er klar, dass sie nicht so weitermachen kann. Trotzdem ist er barmherzig mit ihr und sagt: „Ich verurteile dich nicht, gehe hin und sündige nicht mehr“.

Wir debattieren in unserer Zeit viel über innere Sicherheit und strengere Gesetze gegen Straftäter, erst recht solche mit Einwanderungsgeschichte. Wir sind erschrocken und bekommen Angst, wenn Frauen und Mädchen überfallen und vergewaltigt werden. Da ist es vielleicht völlig daneben, nach dem Vorbild der Ehebrecherin-Geschichte in falsch verstandener Jesus-Nachfolge einfach zu sagen: Geh hin und sündige nicht mehr. Da ist es eher dran, die Autorität der Ordnungsorgane klarzustellen, damit die Bewegungsfreiheit aller Einwohner und Einwohnerinnen erhalten bleibt. Aber ist das eine Frage von Gesetzen? Oder eine Frage von ausreichender personeller Ausstattung von Polizei und Ordnungsamt, damit schnell maßvolle Sanktionen erfolgen und deutlich wird, dass es keine rechtsfreien Räume gibt. Es gilt, die Tat zu verurteilen, aber den Tätern und Täterinnen den Weg zurück in die Gesellschaft und Gemeinschaft zu ermöglichen. Wie eine zweite Chance aussehen kann, ist von Situation zu Situation verschieden. Was darüber entscheidet, ist die konkrete Beziehung.

Oder denken Sie an den reichen Jüngling: Er ist ein anständiger Kerl, und fasziniert von Jesus, und fragt, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erben. „Gib dein Geld den Armen“ sagt Jesus zu ihm. Das kann der Reiche nicht, das schafft er einfach nicht, und geht traurig weg.

Diese Geschichte müsste uns zutiefst beunruhigen, und ab und zu geht sie uns auch unter die Haut, aber wir schieben sie auch immer wieder von uns weg. Soviel wir auch geben, die meisten von uns behalten das meiste für sich selbst. Hier rufen wir nicht nach strengeren Regeln, hier hoffen wir für uns selbst auf Jesu Barmherzigkeit. Hier meinen wir, von uns persönlich einmal abgesehen, dass der Reichtum unseres Landes im Wesentlichen uns gehören soll, und dass wir nur einen kleinen Teil in die Entwicklungshilfe stecken und ein Vielfaches in den Haushalt zur Verteidigung. Wir hängen mehr am Mammon, wie die Bibel sagt, als an Jesus. Und merken: Wir können uns eine Wahrheit so zurechtbiegen, dass unser Lebensstil schon in Ordnung geht, aber im Blick auf die konkrete Beziehung zu den Armen dieser Welt geht das nicht, jedenfalls nicht so, dass wir uns selbst überzeugen, und in der konkreten Beziehung zu Jesus müsste uns wenigstens die Unruhe anzumerken sein. Hören wir nicht, wie er zu uns sagt: „Ich verurteile dich nicht, aber: gehe hin und sündige nicht mehr?“

Wie sähe das aus? Wie sieht das aus, die Beziehung zu Jesus die Wahrheit unseres Lebens werden zu lassen?

Dass wir immer wieder bereit sind, zu fragen, was dieser Beziehung gerecht wird – und dann zu entscheiden, ob es Zeit ist zu handeln und zu reden, oder zu schweigen und Ruhe zu bewahren, ob es Zeit ist, auf die Straße zu gehen, oder Zeit, zu Hause zu bleiben. Wir sollen nicht Jesus-Kopien werden, sondern Wahrheitssuchende; wir wollen nicht rechthaberisch sein, sondern erfinderisch – denn wir sind mit der lebendigen Wahrheit verbündet.

Angst haben, dass wir Fehler machen oder zu wenig tun, das brauchen wir nicht. Denn wir haben Jesu Versprechen, dass er uns holen kommt, dorthin, wo er ist.

Das Fragen darf niemals aufhören, und die Bereitschaft, etwas zu verändern auch nicht, das gehört ja dazu zu einer lebendigen Beziehung. Das gehört dazu, wenn wir mit der Wahrheit verbündet sein wollen und mit dem Leben. Dann ist der Weg ein Weg, der nicht festgelegt ist, den wir erst entdecken, indem wie ihn gehen, an Jesu Seite. Leben bedeutet dann, Fragen zu stellen und uns immer wieder überraschen zu lassen, uns verändern zu lassen.

Damit werden wir im Leben nicht fertig.

Da ist es gut, einen Spruch als Begleiter zu haben, der nie ganz verstanden ist, in dem immer noch was drinsteckt, was erst die Zukunft zeigen wird.

Damals, als Konfi, fand ich es spannend, den unerschöpflichen Sinn meines Konfirmationsspruches zu ahnen. Heute, als Erwachsene, bin ich dankbar für die bewegliche Orientierung, die der Vers bietet, und als Pfarrerin bin ich froh darum, dass es nicht ums Nachbeten von fertigen Wahrheiten und Geboten geht, sondern um lebendiges Fragen nach der Wahrheit, die Gottes Willen und der menschlichen Not gerecht wird. Und ich bin getrost: Solches Fragen nach der Wahrheit hält mich verbunden mit dem Weg Jesu und mit Gott, dem Vater, der das Leben selbst ist.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Mein Konfirmationsspruch – Predigt von Prädikant Dr. Holger Ueberholz

Die Predigt wurde gehalten im Rahmen der gemeinsamen Sommergottes-dienstreihe „Mein Konfirmationsspruch“ am 5.8.2018 in der Evangelischen Kirche Gräfrath

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und von unserem Herrn und Heiland Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde!

In unserer Sommer-Predigtreihe soll es um die Konfirmationssprüche der Predigerinnen und Prediger gehen. Mein Konfirmationsspruch steht in 1. Mose 32, 27 und lautet: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“

Ich möchte meine Predigt in 3 Teile gliedern:

  1. Wie sah es damals im Konfirmandenunterricht aus vor über 50 Jahren?

Am 25. März 1962 habe ich meine Konfirmationsurkunde in einem feierlichen Gottesdienst in der Evangelischen Kirche zu Vohwinkel durch Pastor Tappenbeck überreicht bekommen. Damals waren noch die Konfirmationen im März eines Jahres, weil das neue Schuljahr mit dem 1. April begann, und für die allermeisten meiner Mitkonfirmanden fing dann nach 8 Volksschuljahren die Zeit der Lehre und der beruflichen Ausbildung an, also schon mit meist 14 Jahren. Unserer Konfirmation war ein zweijähriger Unterricht vorausgegangen, der damals im Tescher Gemeindesaal stattfand. Das 1. Jahr als Katechumenenunterricht hielt der damalige Diakon Christoph Scheffler, der gleichzeitig den CVJM leitete und streng darauf achtete, dass jeder Jugendliche im Konfirmandenalter auch zugleich rege am Vereinsleben des CVJM teilnahm. Und wir trafen uns 2 Mal in der Woche, nämlich am Mittwoch und am Freitag von 15 – 16 Uhr. Wir lernten viele wichtige Stellen der Bibel kennen und manches wurde uns dazu diktiert, auch sangen wir viele Lieder aus dem Gesangbuch, die wir dann meist mit 4 Strophen auswendig lernen mussten.

Im 2. Jahr hatten wir bei unserem Gemeindepfarrer Tappenbeck, und kamen immer dienstags von 15 – 16 Uhr und donnerstags morgens von 7. 30 – 15 Uhr zusammen, um uns mit den Fragen des Heidelberger Katechismus auseinander zu setzen. Vor der Konfirmation fand nicht nur eine Prüfung vor dem Bezirkspresbyterium statt, sondern eine Woche vor unserer Einsegnung gab es am Sonntagnachmittag noch eine öffentliche Prüfung vor der gesamten Gemeinde in Vohwinkel, und unsere Eltern waren meist aufgeregter als wir Prüflinge, denen es vor der Nachbarschaft peinlich war, wenn ihre Kinder bei der 3. Strophe von „Ein feste Burg ist unser Gott“ stecken blieben oder denen nicht mehr die 4. Strophe von „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ einfiel.

Meine Konfirmationsurkunde hat schon viele Umzüge überstanden und hing immer in meinem jeweiligen Kinderzimmer oder den späteren Arbeitszimmern, und so schaue ich auch heute noch auf meine eingerahmte Konfirmationsurkunde, wenn ich am PC sitze und etwas ausarbeite.

Die linke Seite der Urkunde zieren die betenden Hände von Albrecht Dürer, des bekannten Nürnberger Renaissance- Malers, auf der rechten Seite steht in schwarzer Tinte der besagte Konfirmations-Spruch und mein Name, dazu das Tauf- und das Konfirmationsdatum und zu guter Letzt die markante Unterschrift von Pfarrer Tappenbeck.

  1. Liebe Gemeinde, mein Konfirmationsspruch weist in die frühe Zeit des Volkes Israel. Es geht um Jakob, der seinen älteren Zwillingsbruder Esau um das Erstgeburtsrecht und den damit verbundenen Segen betrogen hatte und nach Haran fliehen musste. Dort heiratete er in der Fremde, arbeitete bei seinem späteren Schwiegervater Laban und bekam von 4 Frauen, 2 davon waren Mägde, 12 Söhne und eine Tochter. Er erwarb in den vielen Jahren großen Reichtum und besaß viele Viehherden, jedoch das Heimweh nach der Heimat wurde im Verlaufe der Zeit immer größer, aber da war ja noch der alte Konflikt mit seinem Bruder Esau. Er hoffte, ihn durch Viehgeschenke aus der Welt zu schaffen und seinen feindseligen Bruder dadurch zu besänftigen. Und dann kam er bei seiner Rückkehr in die Heimat an den Grenzfluss Jabbok im heutigen Jordanien und schaffte alles, was er mit sich führte über eine Furt, eine Untiefe dieses Flusses, und blieb allein zurück. Die Überführung der großen Herden über den in einer tiefen Schlucht fließenden Jabbok war nach Ansicht des bekannten Alttestamentlers Gerhard von Rad, dessen Kommentar ich hierzu benutzt habe, ein schweres Stück Arbeit. Als dann alle Menschen drüben waren und Jakob vorsorglich als Letzter Zurückgeblieben war, da begann die schreckliche Begegnung, von der wir nun hören.

Ich lese uns jetzt die entscheidenden Verse aus 1. Mose 32, 25-31:

25 „Und er blieb allein zurück. Da rang ein Mann mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. 26 Und als er sah, dass er ihn nicht übermochte, also besiegen konnte, schlug er ihn auf das Gelenk seiner Hüfte, und das Gelenk der Hüfte Jakobs wurde verrenkt. 27 Und er sprach: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber Jakob antwortete: „ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ 28 Er sprach: Wie heißest du? Er antwortete: Jakob.
29 Er sprach: Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel, denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und hast gewonnen. 30 Und Jakob fragte ihn und sprach: Sage doch, wie heißest du? Er aber sprach: Warum fragst du, wie ich heiße? Und er segnete ihn daselbst. 31 Und Jakob nannte diese Stätte Pnu-el, denn ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“

Ja, eine wirklich mythologische Geschichte, liebe Gemeinde, die mit meinem Konfirmationsspruch verbunden ist. Jakob, der Esau schwer betrogen hatte und deswegen mit Recht große Angst vor seinem Zwillingsbruder haben musste, konzentrierte sich voll auf diese bevorstehende Begegnung mit ihm. Es war Nacht, eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn die Karawanen und Herden wanderten in der Wüste oft in der Nacht wegen der unerträglichen Tageshitze.

Er war noch alleine auf der anderen Seite des Jabboks, die anderen waren schon am anderen Ufer. Und plötzlich sah sich Jakob in Vers 25 mit einem männlichen Wesen konfrontiert, das auf ihn eindrang und mit ihm bis zum Heraufziehen der Morgenröte gerungen hat. Aus dieser zeitlichen Angabe können wir erkennen, dass dieses Ringen wohl eine längere Zeit gedauert hatte, ja dass der Kampf sogar auch lange unentschieden geblieben war, bis der geheimnisvolle Gegner in Vers 26 Jakobs Hüfte berührte, die davon ausgerenkt wurde. In Vers 27 wird sogar der Eindruck erweckt, als ob Jakob zeitweilig die Oberhand gewonnen hätte, denn der unbekannte Gegner bat ihn sogar, losgelassen zu werden, und Vers 29 b bestätigt diese Annahme, wenn es heißt:

„Denn du hast mit Gott und Menschen gekämpft und hast gewonnen.“

Beinahe hätte Jakob diese geheimnisvolle Macht niedergerungen, was seine übermenschlichen Kräfte zum Ausdruck bringt, wenn nicht dieses unbekannte Wesen Jakob an der Hüfte verletzt und damit kampfunfähig gemacht hätte.

Jakob schien offensichtlich in diesem mirakulösen Wesen etwas Göttliches und damit Übermenschliches erkannt zu haben, denn als dieses ihn in Vers 27 aufforderte: „lass mich los, denn die Morgenröte ist heraufgezogen“, da witterte wohl Jakob die Gunst der Stunde und erwiderte: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Jakob stellte sogar seinem göttlichen Gegenüber eine Forderung, ja eine Bedingung, erst dann loszulassen, wenn dieses göttliche Wesen ihn segnete und ihm damit diese göttliche Lebenskraft schenkte. Jakob hatte also gewissermaßen dieser geheimnisvollen Macht den Segen abgerungen und damit gewagt, nach Gott und seiner Segensmacht zu greifen!

Doch bevor er den Segen bekam, musste sich Jakob fragen lassen, wer er denn sei. Denn der Name war in der ganzen Antike nicht nur ein Kriterium, Menschen voneinander zu unterscheiden, sondern der Name enthielt auch immer etwas von dem Wesen und der Kraft dessen, der ihn trug. „Nomen est omen.“ Diese lateinische Redensart macht deutlich, dass der Name auch immer mit einer gewissen Vorbedeutung, mit einem omen, verbunden ist.

Nun bekam Jakob in Vers 29 von der unbekannten Macht einen neuen Namen beigelegt, einen Ehrennamen, einen Titulus, denn Jakob sollte von nun an „Israel“ heißen, weil er mit Gott und den Menschen gekämpft und dabei gewonnen hatte. In Vers 30 fragte nun Jakob seinerseits diese göttliche Kraft nach ihrem Namen. In der früheren Zeit wusste sich der antike Mensch umgeben von vielen gottheitlichen Mächten, die zwar sein Leben bestimmten, die er aber von sich aus nicht enträtseln konnte. Trat nun so eine Gottheit, so ein numen, so ein göttliches Walten, greifbar und unvermittelt in den Lebenskreis eines Menschen, so war dessen  Frage nach seinem Namen, nach seinem Wesen, nach seinen Absichten, eigentlich ganz natürlich und selbstverständlich. Doch dieser unbekannte Gott, nach dem Jakob nun greifen wollte und den er fast in seinem mythischen Kampf besiegt hätte, ließ sich sein Geheimnis und seine Souveränität nicht nehmen, sondern er entzog sich dem Zugriff Jakobs, indem er fragte, warum er überhaupt seinen Namen wissen wollte. Aber er segnete trotzdem den Jakob, und mit dieser Handlung hat Gott den Segen, den Jakob sich einst erschlichenen hatte, nachträglich legitimiert.

Nachdem  Jakob den Segen Gottes empfangen hatte, benannte er in Vers 31 diesen Ort Pnu-el = Angesicht Gottes, eben weil er, wenn auch im nächtlichen Dunkel, Gott von Angesicht gesehen hatte. Trotzallem hatte ihm diese Begegnung nicht den Tod gebracht, den nach israelitischer Auffassung jeden erwartete, der Gott geschaut hatte.

  1. Was können wir noch heute, liebe Gemeinde, mit dieser prähistorischen Begebenheit anfangen?

Ich möchte das an drei wichtigen Punkten verdeutlichen:

  1. Was bedeutet eigentlich Gott? Der bekannte Religionswissenschaftler Rudolf Otto hat im 20. Jahrhundert das Göttliche in einem scharfen Kontrast definiert und gemeint: Gott ist einerseits das tremendum, also das, wovor der Mensch unwillkürlich erzittern und erschaudern muss, und andererseits ist es das fascinans, das Faszinierende, das, was uns immer wieder anzieht und in seinen Bann schlägt.

Luther hatte schon vor bald 500 Jahren ebenfalls von einem dualistischen Gottesbild gesprochen und gemeint: Gott ist sowohl der deus absconditus, der verborgene Gott; der Gott, der sich nicht in die Karten schauen lässt und der unverfügbar für uns Menschen ist. Er lässt sich seine Freiheit und seine Souveränität nicht von uns Menschen nehmen. Aber er gibt sich trotzdem zu erkennen als der geoffenbarte Gott, als der deus revelatus, indem er greifbar und begreifbar wurde in dem Menschen Jesus von Nazareth. In Jesus erkennen wir das Wesen Gottes und wissen spätestens seit Karfreitag, dass Gott diesen Jesus hat kreuzigen lassen auch wegen unserer Sünde und Schuld, um uns dadurch einen neuen Zugang zu ihm zu schenken, der durch unser Versagen versperrt war. Somit bedeutet für uns Gott nach dem Neuen Testament, dass er letztendlich der Gott der Liebe ist, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt auch unweigerlich in Gott und Gott in ihm.

  1. Was bedeutet für uns heute so ein Ringen mit Gott? Kennen wir nicht alle solche Auseinandersetzungen mit ihm? Sie finden heute nicht mehr körperlich als ein nächtlicher Ringkampf statt, sondern mehr geistlich und mental, und zwar im Gebet. Wie oft haben wir schon mit Gott in schwierigen Situationen, bei Krankheit und Not gesprochen, vielleicht sogar gerungen. Wie viele Gelübde haben Menschen bis auf die heutige Zeit getätigt, um aus einer Lebensgefahr oder einer sonstigen schwierigen Situation gerettet zu werden. Ein uns allen vertrautes Beispiel ist hierfür Martin Luther, der im Gewittersturm gelobt hat, ein Mönch zu werden, wenn er am Leben bliebe. Und Luther steht stellvertretend auch für uns mit seinem schon fast pathologischen Ringen um einen gnädigen Gott, an dem er fast verzweifelt wäre, wenn er nicht diese befreiende Textstelle im Römerbrief des Paulus, Kap. 3, Vers 28, gefunden hätte: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, sondern allein durch den Glauben.“ Das Ringen mit Gott findet häufig im Gebet statt, und dabei müssen wir immer auch an Bonhoeffers Aussage denken, der sagte, dass Gott nicht unbedingt alle unsere persönlichen Gebete erhört, aber alle seine gegebenen Verheißungen erfüllt.

Dieses Ringen mit Gott hatte einst auch ein Hiob erlebt, der aber trotz aller Leiden und Schwierigkeiten nicht an seinem Gott verzweifelte oder irre wurde, sondern der trotz allem bekennen konnte: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“

  1. Das Ringen mit Gott in unseren Anfechtungen und Dunkelheiten zeigt auch Psalm 73. Der Psalmist wendete sich trotz äußerlicher Not nicht von Gott ab, sondern bekannte sich zum „Dennoch des Glaubens“: Dennoch, trotz aller ungelösten Rätsel und aller unerklärbaren Schwierigkeiten, bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.“

Ein Christ, liebe Gemeinde, schaut also nicht nur auf die gegenwärtige Not, sondern er denkt auch zugleich an das Ende seines Lebens, an dem er hofft, ja sogar die Gewissheit hat, von Gott in Ehren angenommen zu werden.

Und diese Zuversicht strahlt für mich auch mein Konfirmationsspruch aus in Vers 27: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ Gewiss, manches muss im Leben errungen und erbeten werden. Wir dürfen von Gott nicht ablassen, vor allem dann, wenn es uns gut geht und wir dann leicht unseren Schöpfer und Geber aller guten Gaben vergessen. Lied 387 verdeutlich in Vers 4 dieses „ich lasse dich nicht“, wo es heißt: Ja, er will gebeten sein, wenn er was soll geben; er verlanget unser Schrein, wenn wir wollen leben.“

So bleiben wir unser ganzes Leben lang im Gebet auf Gott angewiesen, denn wir haben die Gewissheit, dass Gott auch uns, wie damals den betrügerischen Jakob, segnen wird, wenn wir treu an ihm festhalten und ihn nimmermehr loslassen. Amen.

Wir beten mit Lied 387, Vers 5: „Doch wohl gut, es muss uns schon alles glücklich gehen, wen wir ihn durch Gottes Sohn im Gebet anflehen, denn er will uns mit Füll seiner Gunst beschütten, wenn wir gläubig bitten. Amen

Wir singen Lied 387, 1-5: Mache dich, mein Geist, bereit

Mein Konfirmationsspruch, Predigt von Pfarrerin Sabine Büker-Benedens am 29.07.2018

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.   AMEN

Liebe Schwestern und Brüder!

Bei der Vorbereitung auf heute, dem Nachdenken über meinen Konfirmationsspruch war die folgende Szene sofort wieder da:

Ich liege auf einer Decke in einer Kirche. Ich liege auf dem Bauch und über mich wird eine Decke nach der anderen gelegt. Die Last wird schwerer, die Luft stickiger – und ich soll meinen ausgewählten Bibelvers in den Raum brüllen. Deutlich und hörbar durch alle Decken hindurch. Nach jedem Mal eine weitere Decke, und langsam fühle ich eine gewisse Platzangst – der Panikpegel steigt. Ich rufe meinen Spruch immer verzweifelter in die Kirche. Jetzt kann ich nicht mehr, gebe das verabredete Signal und die Decken werden eine nach der anderen schnell entfernt. Ich bin frei, darf aufstehen – und sage meinen Spruch noch einmal „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten.“

Ich spüre Erleichterung, Freiheit, innere Ruhe, Jubel – meine Haltung, der Klang meiner Stimme… alles drückt die Gewissheit dieses Verses, meines Konfirmationsspruches aus. Gottes Licht, sein Heil durchdringt mich – warum also Angst haben? Die Panik unter den vielen Decken ist jetzt nicht mehr, als eine langsam verblassende Erinnerung.

Wie tief dieser Vers wirkt, das konnte auch ich mir am Tage meiner Konfirmation am 20.März 1977 bei weitem nicht vorstellen. Einen Zugang zum Glauben hatte ich, war schon seit fast einem halben Jahr Mitarbeiterin im Kindergottesdienst und hatte, zusammen mit anderen Konfirmandinnen und Konfirmanden Gottesdienstes mitgestaltet. Auch wir sollten mündig werden, waren begeistert von Pfr. Puls, der direkt aus einer EKD – Auslandspfarrstelle in Afrika nach Heiligenhaus kam und uns praktisch nichts auswendig lernen, aber umso mehr diskutieren ließ (unter anderem darüber, ob Jesus denn nun Gottes Sohn ist oder nicht – das Ergebnis dieser Diskussion erinnere ich leider nicht mehr). Doch in einem war er eher konservativ: die Konfirmationssprüche hat er ausgesucht.

Und heute, nach 41 Jahren habe ich das Gefühl: Herr Puls hat mich wohl recht gut

gekannt. Als Kind und Jugendliche war ich ein ziemlich introvertierter Mensch, im Umgang mit anderen unsicher. Ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, als auf andere von mir aus zuzugehen.

Gedanken habe ich mir über meinen Konfirmationsspruch lange nicht gemacht. Und wirklich gewusst habe ich ihr auch nicht. Wann genau es dann aber so war, dass ich ihn wenigstens hersagen konnte, kann ich gar nicht sagen. Ja, ich glaube so richtig „klick“ gemacht hat es bei mir durch dieses Erlebnis im Vikariat. Eine Übung zur liturgischen Präsenz = Präsenz im Gottesdienst / Kirchraum. Dieses Herausschreien des Spruches in wachsender Angst – das gelöste, ja erlöste Sprechen hinterher…  seitdem lässt er mich nicht mehr los.

„Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten.“ – Worte, die dem König David zugeschrieben werden. Mit diesen und auch den darauf folgenden Sätzen beschreibt er die Situation eines Menschen der verfolgt wird, oder sich zumindest verfolgt fühlt. Er erlebt Anfeindung durch andere, sieht sich seiner Umwelt ausgeliefert – und stellt dem das Vertrauen auf Gottes Schutz entgegen. Bei Gott selbst, ja in seinem Haus, da ist Schutz, da können die Feinde ihn nicht erreichen.

Ganz konkret lässt das auch heute noch an Kirchenasyl denken. In früheren Zeiten der letzte Rückzugsort für Verfolgte – kein rechtsfreier Raum, aber ein Ort, an dem die Macht der Fürsten und Könige sich der Macht Gottes unterwerfen musste.

Heute wird das wieder viel diskutiert – im Zusammenhang mit der Hilfe für Geflüchtete; und auch heute ist es manchmal das letzte Mittel, einen Zufluchtsort zu gewähren um noch einmal alle rechtlichen Hebel in Bewegung zu setzen und Menschen zu helfen. Auch heute kein rechtsfreier Raum – Gemeinden, die mit dem Kirchenasyl arbeiten müssen sich sehr genau überlegen, was sie tun und gute Gründe dafür haben…

Verfolgung, wie im Psalm beschrieben habe ich nicht erleben müssen. Situationen, in denen ich auf Gottes Schutz angewiesen war… davon gab es schon mehrere, auch wenn ich das nicht immer gleich gefühlt habe. Den größten Knacks hat mir dabei die völlig verpatzte Examensprüfung 1989 zugefügt. Mein Mann geht ins Vikariat, ich bin mir Pauken und Trompeten durchgefallen, und das bedeutet noch 1,5 Jahre bis ich dann hoffentlich auch das Studium abgeschlossen habe. Weiter studieren, wieder Examensarbeiten schreiben, wieder Klausuren, wieder mündliche Prüfungen… eben das volle Programm. Ich brauchte viel Unterstützung, wollte alles aufgeben, mich wieder vom Examen abmelden… und doch hat da einer seine Hand über mich gehalten, mir Menschen an die Seite gestellt  – meinen Mann, Kollegen / Kolleginnen aus seinem Vikariatskurs, Studienfreunde… – die mir geholfen haben durchzuhalten. Ich habe es nicht als Gottes Licht wahrgenommen, aber es schien mir die ganze Zeit. Sein Schalom, sein Heil hat mich begleitet und mir nach und nach den Weg aus der Panik heraus gezeigt.

Wenn ich im Bild vom Anfang bleibe, war das wohl eine der dicksten Decken, die auf mir lagen und mir lange den Blick verstellten. Und es kamen noch andere dazu: die Bewerbungszeit ab Sommer 1994, die immer nur Absagen brachte (damals kamen etwa 70 – 90 Bewerbungen auf eine Pfarrstelle), die Entlassung aus dem Hilfsdienst, da ich ja keine Pfarrstelle gefunden hatte, also erst einmal arbeitslos sein… verbunden mit der Unsicherheit, wie es denn weitergeht.

Und auch in dieser Zeit, bekam ich meinen Weg gezeigt. Gottes Licht wurde zum Wegweiser – über die ersten Versuche mit der Gebärdensprache und in der Gehörlosengemeinde in Moers, über das hospitieren in der Gemeinde und dem Berufskolleg für Hörgeschädigte in Essen, bis hin zu der Ausschreibung aus dem Kirchenkreis Solingen, die mein Mann mit auf den Schreibtisch gelegt hatte (schön rot angestrichen). Natürlich erst einmal große Unsicherheit: das kann ich nicht. Konnte ich aber doch. Und hier gab es dann eine berufliche Zukunft für uns beide, und auch das Geschenk, eine Familie werden zu dürfen – und trotz immer wiederkehrendem Gefühl etwas nicht zu können, etwas nicht gut genug zu machen die Zeichen: hier bist du richtig.

Oder besser: Mach das und trau dich! Du kannst das – und wenn nicht sofort, dann kannst du es lernen. Du brauchst keine Angst zu haben.

Wie gesagt: bei der Konfirmation hätte ich mir nicht träumen lassen, wie deutlich dieses Wort, vom Pfarrer ausgewählt, immer wieder in meinem Leben sichtbar wird. Mein Konfirmationsspruch, er ist wirklich mein Spruch für’s Leben geworden: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, er bewahrt unsere Herzen und Sinne im Glauben an Jesus Christus. AMEN

Mein Konfirmationsspruch von Pfr. Benedens

Die nachfolgende Predigt wurde gehalten am 15.07.2018 zum Start der Sommergottesdienstreihe „Mein Konfirmationsspruch“

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Liebe Schwestern und Brüder!

Am 30. Mai 1976 wurde ich in der Christuskirche in Rheinhausen konfirmiert. Zwei Jahre Konfirmandenunterricht gingen dem voraus: das erste dreiviertel Jahr wurde von einem kurz vor der Rente stehenden Pfarrer unterrichtet: Pfarrer Stähler; eine ganz kurze Zeit am Ende des ersten Konfijahres vom damaligen Jugendleiter in der Gemeinde, Hans Jansen. Das zweite Jahr vom Pfarrer des Nachbarbezirkes, Pfr. Zieger. Im Wesentlichen bestand mein Konfirmandenunterricht aus Abhören des Gelernten: 2 Bibelsprüche, 2 Gesangbuchliedverse und in der Regel eine Frage des Heidelberger Katechismus waren das Pensum, das wir Woche für Woche zu lernen hatten. Zeit für viel mehr war da nicht, denn wir waren 28 und da ging die meiste Zeit für’s Abfragen drauf. Das ist unser Konfirmationsfoto, ich habe keine Erinnerung daran, ob es vor oder nach dem Gottesdienst aufgenommen wurde, ich glaube aber eher vorher. Und damit Ihr mir auch weiter zuhört, hier schon mal die Auflösung. In der hinteren Reihe, der 4. Von links bin ich:

Foto: privat H.Benedens

Mit modernen Rundschnitt, Riesenfliege und noch ohne Brille. Von den anderen auf dem Foto (wegen des Datenschutzes hier nicht abgebildet) weiß ich, glaube ich noch 3 Namen, habe die meisten auch seit gefühlt „ewigen Zeiten“ nicht mehr gesehen. Aber wer weiß: in 8 Jahren habe ich Goldkonfirmation, vielleicht sieht man sich da wieder.

Im Gegensatz zu vielen anderen Konfirmandengruppen in Rheinhausen durften wir uns unsere Sprüche nicht aussuchen, wir bekamen sie verpasst. Für mich hat Pfarrer Zieger Psalm 84,12 ausgesucht: „Gott der HERR, ist Sonne und Schild; der HERR gibt Gnade und Ehre, er wird kein Gutes mangeln lassen dem Frommen.“ Das hat mir damals wenig gesagt. Wenig Zugang hatte ich zu meinem Spruch. Damals im Konfirmandenunterricht habe ich zwar auswendig gelernt – da hatte ich doch Respekt vor den beiden Pfarrern. Aber was das mit mir zu tun hatte, das ist mir nicht so klar gewesen. Da ging es mir wohl wie vielen anderen Konfis – damals wie heute.

Doch bin ich zumindest in der Gemeinde geblieben und wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte an der Mitarbeiterschulung des CVJM-Kreisverbandes teilzunehmen, die über drei Jahre an jeweils 8 Wochenenden im Jahr im CVJM-Eichenkreuzheim in Tönisberg, etwa 20 Kilometer von Rheinhausen stattfand. Da die Gemeinde die Kosten dafür übernahm, habe ich gerne daran teilgenommen und bin so in die Freizeitarbeit hineingerutscht. 1977 nahm ich noch als Teilnehmer an einer Jugendfreizeit meiner Heimatgemeinde teil. Und ab 1978 bin ich dann Jahr für Jahr meistens für 3 Wochen in ein Zeltlager gefahren und habe selbst in der offenen Jugendarbeit der Gemeinde mitgearbeitet, war als Mitarbeiter bei Konfifreizeiten dabei. Und habe viele Gespräche mit Pfr. Hübner geführt, der nach meiner Konfirmation in die Gemeinde gekommen war und für die Jugendarbeit verantwortlich. Tatsächlich habe ich als 16 und 17 Jähriger regelmäßig den Gottesdienst besucht, mindestens 2x pro Monat während der Schulzeit. So kam ich dann schließlich zur Idee, selbst Theologie zu studieren und Pfarrer zu werden.

Keine Angst, ich erzähle jetzt nicht mein ganzes Leben nach, aber es war am 30. Mai 1976 höchst unwahrscheinlich, dass ich mal Pfarrer werde. Und wenn ich heute auf meinen Konfirmationsspruch schaue, dann denke ich: Mein Pfarrer damals muss prophetische Begabung gehabt werden. Denn ich habe meinen Frieden mit dem Konfirmationsspruch gemacht, glaube sogar: Er ist wie für mich geschrieben: „Gott, der HERR, ist Sonne und Schild; der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen den Frommen.“ Satz für Satz werde ich ihn jetzt durchgehen:

„Gott, der HERR, ist Sonne und Schild“. Im Januar 1978 hatte ich eine sehr dunkle Zeit in meinem Leben und wollte es beenden. Heute kann ich im Rückblick darauf sagen: Als ich Gott keine Chance mehr gab, gab er mir eine neue Chance. Es war, es hätte man einen Schalter umgelegt. Aus einem kleinen, motzenden Teenager, wurde ein engagierter, manchmal etwas verpeilter jugendlicher Mitarbeiter. Ich habe in der Gemeinde meine Gruppe gefunden und bekam die Beachtung, die mir an anderen Orten außerhalb der Familie versagt war. Im Gymnasium war ich immer ein Außenseiter gewesen, das ist erst mit dem Eintritt in die Oberstufe ein bisschen besser geworden. Allerdings habe ich Religion in nach der 11. Klasse abgewählt, weil ich es nicht gut ertragen konnte, dass bestimmte Leute immer anfingen zu Lachen, noch bevor ich etwas gesagt habe und der Lehrer das nicht verhindert hat. Aber da hatte ich dann immerhin schon das Selbstbewusstsein: Ich kann auch ohne Religion in der Oberstufe evangelische Theologie studieren.

Um es mit dem Psalmvers zu sagen: Gott ist mir zur Sonne in dunkelster Zeit geworden und hat wie mit einem Schild mich behütet.

„Der HERR gibt Gnade und Ehre.“ Ja, das erfahre ich immer wieder in meinem Beruf. Dass mit meinem Amt ich einen Vertrauensvorschuss bei vielen Menschen habe. Auch wenn ich nicht der klassische Pfarr-Herr bin, spüre ich doch, wie viel an Gnade und Ehre mir spürbar entgegengebracht wird. Nur ganz selten gibt es Begegnungen, in denen Menschen mir wegen meines Amtes zu spüren geben, dass das in ihren Augen nichts Wert ist. Im Gegenteil, gerade auch jetzt, wo ich viel mit der „Mobilen Kirche“ unterwegs bin, erfahre ich viel Zuspruch und das nicht nur von Menschen, die der Kirche nahe stehen. Für mich steht dieser zweite Satz meines Konfirmationsspruches in enger Beziehung zu einem Spruch, den Christus dem Paulus gesagt hat und der mir seit Studienzeiten ganz wichtig ist: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Und das erfahre ich, auch immer wieder im Berufsleben. Gerade in solchen Situationen, wo andere sagen, wie kannst Du das nur aushalten – bei Notfalleinsätzen, bei ganz besonders schwierigen Beerdigungen, da mache ich die Erfahrung, dass mir Kraft in der Situation zuwächst, die nicht aus mir heraus wächst, die mir gnädig geschenkt wird. So komme gut ich durch viele dieser schwierigen Situationen und bekomme auch viele gute Rückmeldungen.

„Er wird kein Gutes mangeln lassen dem Frommen.“ – Dieser Satz erfährt bei mir eine Auslegung nach Tagesform. An guten Tagen stimme ich dem gerne zu, denn es fehlt mir ja nichts. Aber es gibt ja auch viele Tage, an denen das nicht so ist. Dann bekommt dieser Satz nicht die Form der Aussage, sondern die Form der Bitte: Du hast das doch versprochen, Gott: dann sieh jetzt auch zu, dass es gut wird. Dabei ist mir aber schon bewusst, dass zwischen dem, was ich gut finde und dem, was Gott gut findet, wohl manchmal Welten liegen. Und auch, dass ich Fragen an Gott habe, auf die ich hier wohl keine mich zufriedenstellende Antwort bekomme. Aber das ist wahrscheinlich auch umgekehrt so: dass Gott Fragen an mich hat, die ich wohl nicht zufriedenstellend beantworten kann. Aber das hält unsere Beziehung aus.

Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob ich „fromm“ bin. Die Oma eines Kindergarten- und Grundschulfreunds fragte mich nach dem Abitur, ob ich auch fromm genug wäre um Pfarrer zu werden? Darauf weiß ich keine Antwort, außer dass ich ein mir ein Vertrauen bewahrt habe, dass Gott mit gnädigen und liebevollen Augen auf mein Leben sieht. Dass ich glaube, dass er mir immer wieder die Kraft gibt, mich meinem Leben in Familie und Beruf zustellen, dass ich immer zu ihm reden kann und dass ich bei ihm in guter Hut bin. Doch, das ist fromm genug, nach meiner Auffassung.

Mein Konfirmationsspruch passt für mich: „Gott, der HERR, ist Sonne und Schild; der HERR gibt Gnade und Ehre. Er wird kein Gutes mangeln lassen dem Frommen.“ Amen. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.