Die Predigt wurde gehalten am 12.08.2018 in der Ev. Kirche Gräfrath.
Predigt Gräfrath, Konfirmationsspruch Joh 14,6, 12.8.18
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn und Bruder Jesus Christus. Amen.
„Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Liebe Gemeinde,
ich habe mir diesen Vers ausgesucht, vor vielen Jahren, mit 13, als Konfirmandin. Wir hätten uns auch einen Vers geben lassen können vom Pfarrer, aber das kam für mich irgendwie nicht in Frage.
Ich habe mir damals viel Mühe gemacht, zwei Cousinen wurden vor mir konfirmiert, und ich hatte die Gottesdienstprogramme, in denen die Bibelstellen der Konfirmationssprüche abgedruckt waren, aufgehoben. So habe ich irgendwann abends in meinem Zimmer gesessen und in meiner Bibel die etwa 60 Sprüche nachgeschlagen – damals waren die Konfi-Gruppen noch richtig groß, geburtenstarke Jahrgänge halt. Was mir gefiel, habe ich rausgeschrieben und in die engere Auswahl genommen. Am Ende blieb dieser übrig: „Jesus spricht: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Warum ausgerechnet dieser Vers mir besonders gefiel? Genau weiß ich es nicht hat mehr, ich denke, Weg, Wahrheit und Leben gefielen mir, das hatte was Orientierendes, ohne einzuengen, etwas Dynamisches, etwas, dass mir damals groß und ausreichend für ein ganzes Leben vorkam. Es hat mich nie gestört, wenn ich etwas nicht gleich verstanden habe, im Gegenteil, ich fand es gut, denn im Nicht-gleich-verstehen steckte die Verheißung, dass das Denken spannend bleiben würde. Diesen Gedanken mag ich bis heute, dass die Bibel oder auch Philosophie und Literatur einen Überschuss über mein Begreifen haben und eben größer sind als mein Verstehen — einfach, weil es dann nicht langweilig wird und auch, weil ich es hassen würde, die Welt entschlüsselt und damit irgendwie auch erledigt zu haben.
Ich bekam also diesen Vers zugesprochen, und das war es dann erst mal. Vergessen habe ich ihn zwar nicht, aber wichtig oder so war er auch nicht.
Als ich anfing, Theologie zu studieren, wurden die Texte und Geschichten, an die ich mich aus Kindergottesdienst und Konfi-Zeit erinnerte, wichtig – daran konnte all das Neue, das ich hörte und las, andocken. Und: Texte, die ich kannte, ließen sich leichter aus dem Hebräischen oder Griechischen übersetzen.
Ich glaube, ich habe damals zum ersten Mal den Zusammenhang von meinem Konfirmationsspruch gelesen. Da heißt es drumherum:
Jesus sagt zu seinen Jüngern: „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen. Wenn´s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.“ Spricht zu ihm Thomas: „Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?“ Jesus spricht zu ihm: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.“
Abschiedsreden Jesu, so nennt man diesen Abschnitt und die folgenden Kapitel, wo Jesus kurz vor seinem Tod, den er wohl schon kommen sah, seinen Jüngern sagt, was sie unbedingt wissen sollen. Hier geht es ihm darum, die Seinen zu trösten und zu beruhigen. Hier geht es darum, dass er sie nicht verlässt – die Lebensgemeinschaft, die sie in der gemeinsamen Zeit entwickelt haben, geht nicht zu Ende, auch wenn Jesus „geht“, so ist da, wo er sein wird, Platz und Wohnung auch für die Jünger und Anhängerinnen, und, so verspricht er, er wird kommen und sie holen.
Er sagt: Wo ich hingehe, den Weg wisst ihr.
Und Thomas, der immer ungläubige Thomas, stellt die naheliegende Frage: Wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen?
Recht hat er – und nichts verstanden!
Recht, weil man ja schon eine Adresse oder so etwas braucht, um irgendwohin zu gelangen und zu wissen, ob man den Weg wirklich kennt – ohne Adresse hilft auch kein Navi und keine Karte. Und nichts verstanden, weil es eben nicht um ein Ziel irgendwo auf dieser Erde geht, an dem sich Jesus und die Seinen wieder zu treffen versprechen. Es geht nicht um ein Ziel, es geht um eine Beziehung.
Jesus zeigt nicht bloß Weg, Wahrheit und Leben, er ist es. Wir kommen nicht über ihn zum Vater, der irgendwo anders ist, sondern wenn wir mit ihm sind, sind wir mit dem Vater, mit Gott.
Mit dem Versuch, das zu verstehen, zu begreifen, wird es bestimmt nicht langweilig — so gesehen habe ich damals einen guten Griff getan, das wurde mir im Studium klar. Mein Vers bringt ins Nachdenken. Es geht nicht darum, einen Weg gezeigt zu bekommen, die Wahrheit gesagt zu bekommen und das Leben beigebracht zu bekommen – das wäre es, wenn Jesus für uns Lehrer oder Vorbild oder so etwas wäre: Wir würden von ihm lernen, ihn nachahmen, und irgendwann wüssten wir den Weg, kennten wir die Wahrheit und hätten das Leben im Griff. Und könnten auch ohne Jesus weitermachen und weiterkommen und wüssten, was gut und was böse ist, was richtig und was falsch. Genau das geht aber nicht.
Es geht darum, in dem lebendigen Jesus Weg, Wahrheit und Leben zu suchen und in der Beziehung mit ihm zu finden. Und: „finden“ heißt dann nicht „haben“ oder „wissen“, sondern „leben“, oder „zu leben versuchen“. Damit wird man im Leben nicht fertig.
Und konkret, für den Alltag, bedeutet das eine ganze Menge. Nämlich, aus dieser Beziehung zu Jesus heraus offen zu sein für die Art, in der sich seine Wahrheit und sein guter Weg erweist.
Denken Sie an die Begegnung Jesu mit der Ehebrecherin: Ja, es gibt ein Gebot, das Ehebruch verbietet. Aber darum geht es Jesu Gegnern, die wollen das Gebot durchsetzen. Jesus geht es darum, der Frau den Weg ins Leben und in die Gemeinschaft, in die sozialen Beziehungen zurück zu ermöglichen. Darum macht er klar, dass sie nicht so weitermachen kann. Trotzdem ist er barmherzig mit ihr und sagt: „Ich verurteile dich nicht, gehe hin und sündige nicht mehr“.
Wir debattieren in unserer Zeit viel über innere Sicherheit und strengere Gesetze gegen Straftäter, erst recht solche mit Einwanderungsgeschichte. Wir sind erschrocken und bekommen Angst, wenn Frauen und Mädchen überfallen und vergewaltigt werden. Da ist es vielleicht völlig daneben, nach dem Vorbild der Ehebrecherin-Geschichte in falsch verstandener Jesus-Nachfolge einfach zu sagen: Geh hin und sündige nicht mehr. Da ist es eher dran, die Autorität der Ordnungsorgane klarzustellen, damit die Bewegungsfreiheit aller Einwohner und Einwohnerinnen erhalten bleibt. Aber ist das eine Frage von Gesetzen? Oder eine Frage von ausreichender personeller Ausstattung von Polizei und Ordnungsamt, damit schnell maßvolle Sanktionen erfolgen und deutlich wird, dass es keine rechtsfreien Räume gibt. Es gilt, die Tat zu verurteilen, aber den Tätern und Täterinnen den Weg zurück in die Gesellschaft und Gemeinschaft zu ermöglichen. Wie eine zweite Chance aussehen kann, ist von Situation zu Situation verschieden. Was darüber entscheidet, ist die konkrete Beziehung.
Oder denken Sie an den reichen Jüngling: Er ist ein anständiger Kerl, und fasziniert von Jesus, und fragt, was er tun müsse, um das ewige Leben zu erben. „Gib dein Geld den Armen“ sagt Jesus zu ihm. Das kann der Reiche nicht, das schafft er einfach nicht, und geht traurig weg.
Diese Geschichte müsste uns zutiefst beunruhigen, und ab und zu geht sie uns auch unter die Haut, aber wir schieben sie auch immer wieder von uns weg. Soviel wir auch geben, die meisten von uns behalten das meiste für sich selbst. Hier rufen wir nicht nach strengeren Regeln, hier hoffen wir für uns selbst auf Jesu Barmherzigkeit. Hier meinen wir, von uns persönlich einmal abgesehen, dass der Reichtum unseres Landes im Wesentlichen uns gehören soll, und dass wir nur einen kleinen Teil in die Entwicklungshilfe stecken und ein Vielfaches in den Haushalt zur Verteidigung. Wir hängen mehr am Mammon, wie die Bibel sagt, als an Jesus. Und merken: Wir können uns eine Wahrheit so zurechtbiegen, dass unser Lebensstil schon in Ordnung geht, aber im Blick auf die konkrete Beziehung zu den Armen dieser Welt geht das nicht, jedenfalls nicht so, dass wir uns selbst überzeugen, und in der konkreten Beziehung zu Jesus müsste uns wenigstens die Unruhe anzumerken sein. Hören wir nicht, wie er zu uns sagt: „Ich verurteile dich nicht, aber: gehe hin und sündige nicht mehr?“
Wie sähe das aus? Wie sieht das aus, die Beziehung zu Jesus die Wahrheit unseres Lebens werden zu lassen?
Dass wir immer wieder bereit sind, zu fragen, was dieser Beziehung gerecht wird – und dann zu entscheiden, ob es Zeit ist zu handeln und zu reden, oder zu schweigen und Ruhe zu bewahren, ob es Zeit ist, auf die Straße zu gehen, oder Zeit, zu Hause zu bleiben. Wir sollen nicht Jesus-Kopien werden, sondern Wahrheitssuchende; wir wollen nicht rechthaberisch sein, sondern erfinderisch – denn wir sind mit der lebendigen Wahrheit verbündet.
Angst haben, dass wir Fehler machen oder zu wenig tun, das brauchen wir nicht. Denn wir haben Jesu Versprechen, dass er uns holen kommt, dorthin, wo er ist.
Das Fragen darf niemals aufhören, und die Bereitschaft, etwas zu verändern auch nicht, das gehört ja dazu zu einer lebendigen Beziehung. Das gehört dazu, wenn wir mit der Wahrheit verbündet sein wollen und mit dem Leben. Dann ist der Weg ein Weg, der nicht festgelegt ist, den wir erst entdecken, indem wie ihn gehen, an Jesu Seite. Leben bedeutet dann, Fragen zu stellen und uns immer wieder überraschen zu lassen, uns verändern zu lassen.
Damit werden wir im Leben nicht fertig.
Da ist es gut, einen Spruch als Begleiter zu haben, der nie ganz verstanden ist, in dem immer noch was drinsteckt, was erst die Zukunft zeigen wird.
Damals, als Konfi, fand ich es spannend, den unerschöpflichen Sinn meines Konfirmationsspruches zu ahnen. Heute, als Erwachsene, bin ich dankbar für die bewegliche Orientierung, die der Vers bietet, und als Pfarrerin bin ich froh darum, dass es nicht ums Nachbeten von fertigen Wahrheiten und Geboten geht, sondern um lebendiges Fragen nach der Wahrheit, die Gottes Willen und der menschlichen Not gerecht wird. Und ich bin getrost: Solches Fragen nach der Wahrheit hält mich verbunden mit dem Weg Jesu und mit Gott, dem Vater, der das Leben selbst ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.