Predigt im Gottesdienst der Herbstsynode am 13.11.2020 von Pfarrer Bleckmann

Predigt im Gottesdienst der Herbstsynode am 13.11.2020

Gott spricht: “Denn siehe, ich will Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?” (Jesaja 43, 19)

Liebe Schwestern und Brüder,
ich habe dieses Jahr Neues erlebt. Seit Mitte Mai bin ich Ketzberger Pfarrer, und ich erinnere mich gut an diese Anfangszeit: Die Pfarrwahl war im Februar. Ich habe mich auf die neue Aufgabe gefreut. Dann der Lockdown im März, Ostern at home. Der Abschied von meiner alten Gemeinde mit Abstandsregelungen und der Dienstbeginn in Ketzberg ebenso. Mein Gefühl dieser Zeit ist bis heute da: wie schnell sich alles total verändern kann! Wie verletzlich unser gesellschaftliches Leben ist. Wie gefährlich die Krankheit werden kann. Ich habe erlebt, wie viele in dieser Krise einmal mehr verantwortlich und solidarisch wurden, kreativ und bereit für Neues. Neu war allein schon, dass sich Menschen auch zurückhalten können. Ich habe aber auch Ermüdung erlebt, Genervtsein, Existenzangst, Überforderung.

Bevor ich hier nach Solingen kam, war ich 27 Jahre in Langenfeld, seit 1993. Wie überall habe ich dort auch den Rückgang der Kirchenmitgliedschaft erlebt und kein „Wachsen gegen den Trend“, obwohl wir gute, manchmal richtig gute Gemeindearbeit gemacht haben. Wir haben immer mehr Leute beerdigt als Kinder getauft. Klar, dass Gemeinden auch auf diesem Wege kleiner werden und weniger Personal und Häuser haben.

Die Mitgliederkrise habe ich immer auch als Glaubenskrise verstanden: Viele haben mit dem Bezug zur Kirche auch den Glauben verloren oder nicht authentisch kennengelernt. Sie haben Gott vergessen und vergessen, dass sie ihn vergessen haben. Bei Taufgesprächen, im Konfirmandenunterricht, im Hausbesuch musste ich oft bei Null anfangen.

Ich will mich nicht beschweren. Sondern nur skizzieren, wo wir stehen.

Wir wissen nicht, wie die Zukunft wird. Wie sich Coronakrise und Kirchenkrise auswirken. Wie es weitergeht mit Klima und den natürlichen Lebensgrundlagen, mit Demokratie und wo bei dem allen die Rolle derer ist, die jetzt in der Kirche Verantwortung tragen.

Aus alter Zeit spricht das Prophetenwort aus dem Jesajabuch in unsere Lage heute abend. Ob es uns Mut machen kann, die Veränderungen anzunehmen? Gott spricht: “Siehe, ich will Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?”

Jesajas Zuhörerinnen und Zuhörer erlebten das Ende der Babylonischen Gefangenschaft. Das war überraschend und es war fraglich, ob der neuen Lage zu trauen ist. Die Menschen rieben sich die Augen und mussten erst einmal Vertrauen fassen und in dem Neuen auch das Gute entdecken.

Für Jesaja war klar: Gott handelt. Er ist Ursprung aller Kreativität, schöpferisch wie am Anfang. Die Schöpfung und alles hat er aus dem Nichts geschaffen. Es ist Gott nicht zu schwer, immer wieder schöpferisch diese Welt zu gestalten.

Durch Jesaja spricht Gott, der den Regenbogen in die Wolken setzte – das Bundeszeichen, dass die Schöpfung bestehen soll. Ich finde es bemerkenswert, dass dieser Regenbogen seit dem Lockdown Kinderzimmerfenster schmückt und die hoffnungsvoll-trotzige Botschaft transportiert: „Alles wird gut“.

Gott will Neues schaffen, sagt Jesaja, und er erinnert an die Liebesgeschichte Gottes mit Israel. Diesem versklavte Volk hat Gott Freiheit und Hoffnung geschenkt. Gott hat seine Volk durch alle Krisen geführt, durch Meer und Wüste. Immer und immer wieder spiegeln solche Geschichten Erfahrungen von Menschen wider, die in Gott die Kraft sahen, nicht aufzugeben.

In dieser Linie seines Volkes Israel tritt Jesus auf und verkündet das Reich Gottes. Kein Schlaraffenland, aber die Zukunft Gottes für alle: für die am Rand, für Bedrohte und Ungeschützte. Hoffnung für Hoffnungslose. Seine Auferweckung von den Toten ist das Zeichen, dass bei Gott nichts unmöglich ist, dass es kein Ende gibt, dem nicht ein Neuanfang in bis dahin ungeahnter Form folgen kann. „Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln (Bonhoeffer)“.

Und in dieser Linie stehen wir heute, Christinnen und Christen des 21. Jahrhunderts.

Wir wissen um die Herausforderungen der Zeit, wir zehren von dem Hoffnungspotential unserer Tradition. Ich glaube, dass Gott der Kirche immer neu Leben einhaucht. Sie entsteht immer neu in jeder Generation. Der Prozess ist manchmal mühsam, manchmal schmerzlich. Kraftquelle für alle Veränderungen der Kirche darf die Hoffnung sein. Denn auch eine kleiner werdende Kirche kann nah bei den Menschen sein. Diasporakirchen machen es uns vor: sie können zahlenmäßig klein sein und zugleich glaubwürdig und wirksam in ihrem Kontext.

Was sollen wir also tun, die wir heute in der Kirche Verantwortung tragen? Ich würde sagen: wir sollten alles tun, was der nächsten Generation nützt. Je älter ich werde, desto mehr möchte ich der nächsten Generation etwas hinterlassen, das sie nicht belastet, sondern ihr Freiraum gibt.

Wer ist der Motor der Veränderung? Wir sind es selbst. Gott gibt die Kraft dazu. Und wir werden das schaffen, wenn wir uns füreinander interessieren, wenn wir aufeinander hören, wenn wir füreinander sorgen. Das Bibelwort im Jesajabuch war ja zuerst gerichtet an Menschen, die bereits viel mit Gott erlebt hatten. Es waren erfahrene Glaubende, versiert und mit der Glaubensgeschichte vertraut. Ich komme darauf, weil es auch bei den Veränderungsprozessen, die wir heute zu regeln haben, auf Erfahrungen ankommt. Aber nur, wenn die Erfahrungen einen beweglich machen.

Daher schlage ich vor, dass die Älteren unter uns, und ich zähle mich mit zu ihnen, dass die langjährig bei Kirche engagierten eine betont konstruktive Rolle spielen. Es ist kein Zufall, dass die Glaubensgeschichte Gottes mit Abraham begann, der ja auch kein Youngster war, als Gott ihn rief. Er, der alte Mann mit Sara, der alten Frau, sie sind Prototypen des Menschen in Veränderung, sie gehen aus ihrem Land und ihrer vertrauten Umgebung in ein Land, das Gott ihnen zeigen wird. „Seht ihr‘s nicht, Gott will Neues schaffen“ – er braucht dazu alle Kräfte ganz bestimmt in jedem Alter, im Haupt- und Ehrenamt. Die Jungen bringen ihre Kraft und ihre Ideen mit. Die Abrahams und Saras unter uns, also die mit den vielen Erfahrenen bringen sich als Motoren der Veränderung ein. Die Älteren haben soviel erlebt und soviel ausprobiert, sind gescheitert und haben wieder Neues versucht. Die Aufgabe für die nächsten, diese letzten Jahre ist es, Motoren der Strukturveränderung der Kirche zu sein: Je erfahrener, desto beweglicher! Je älter, desto offener für neue Wege!

Was haben wir schon zu verlieren? Nichts! Die Kirche verändert sich sowieso. Verlieren können wir Älteren bloß die undankbare Rolle des Bremsers, auf dessen Ruhestand oder altersbedingtes Ende des Ehrenamtes die Jüngeren sehnlichst warten. Wir sollten Spuren hinterlassen, nämlich Strukturen, die etwas taugen, auch wenn die Kirche kleiner wird.

“Siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn nicht?”

Gott stattet uns aus mit Hoffnung in jeder Lage. Wir sollen uns gemeinsam die Augen reiben und sehen, was ist: Neues entsteht. Gott lässt es wachsen. Wir sollen’s erkennen. Und wir sollen erkennen, dass wir jetzt nicht zu bremsen brauchen, sondern beschleunigen können. “Erkennt ihr’s denn nicht?”

Und Gottes Friede bewahre Herzen und Sinne, durch Jesus. Amen.

Pfarrer Christof Bleckmann, Evangelische Kirchengemeinde Ketzberg

Quelle: www.gemeindebrief.de, Grafik: Lindenberg

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