Predigt für Ostern von Pfarrer Stephan Sticherling zu 1. Kor. 15, 12 – 28

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Predigt Ostern 2020 1Kor15-1

Kehren wir noch einmal zurück zu dem Augenblick, als die Frauen um Jesus und seine Jünger realisierten: Sie haben ihn wirklich umgebracht. Das war der Augenblick, indem wirklich nichts mehr von den Hoffnungen übrigblieb, von jener Begeisterung, jenen Erfahrungen, jenen Erwartungen, die Jesus in ihnen geweckt hat. Es war alles, wirklich alles umsonst gewesen. Bitte versetzen Sie sich in diese Situation hinein. Versuchen Sie, die Stimmung nachzuspüren. Was hätten Sie gedacht? Was hätten sie jetzt vorgehabt?

Sie hätten sich nicht das Leben genommen. Aber sie wären zutiefst innerlich verletzt gewesen, desillusioniert, wahrscheinlich weniger wütend als vielmehr gelähmt und resigniert. Sie hätten nicht das getan, was die Jünger und die Frauen dann gemacht haben, Sie hätten nicht überlegt, was der Tod Jesu für sie bedeuten könnte, warum Jesus sterben müsste, welcher Sinn darin liegt, dass er gestorben ist. All das hätte Sie nicht interessiert. Sie wären wohl zurück nach Hause gegangen, hätten ihr Leben gefristet, wären ihre Arbeit nachgegangen, hätten vielleicht Familie gegründet, sie hätten normal gelebt, wie so viele Menschen auch. Aber sie wären für nichts mehr zu begeistern, zu gewinnen gewesen. Zynismus, Gleichgültigkeit, Enttäuschung, Resignation – das wäre Ihre Grundmelodie gewesen. Das hätte Sie als Lebensgefühl bis zum Ende ihres Lebens begleitet.

Wie es bei so vielen anderen Lebensverläufen auch gewesen war und auch heute noch so ist. Gerade jetzt, wo nach und nach deutlich wird, welche tödlichen Folgen die Pandemie auch langfristig hat, wieviel Armut, Hunger, Krankheit, Tod und Aussichtslosigkeit sie auslösen wird, wieviel Elend hier und weltweit ihr für lange Zeit folgen wird.

So wäre es zu erwarten gewesen. Aber es ist anders gekommen. Völlig überraschend. Nicht nur in der Fantasie, nicht nur ausgedacht, sondern im wirklichen Leben, real, tatsächlich. Irgendetwas völlig Unerwartetes muss da vorgefallen sein, womit man normal nicht rechnen konnte. Die Schriften des Neuen Testament deuten es nur sehr zurückhaltend an. Da war was, aber man kann es eigentlich nicht wirklich beschreiben. Er ist ihnen erschienen. Sie haben ihn gesehen. Aber das ist noch nicht einmal das entscheidende. Noch viel wichtiger ist:

Sie erkannten ihn.

Sie erkannten ihn – deswegen konnte er nur denen erscheinen, die ihn vorher kannten. Nur sie haben ihn erkennen können. Die Auferstehung Jesu ist ein persönliches, kein öffentliches Ereignis. Öffentlich wurde es erst zu Pfingsten. Es konnte nur öffentlich werden, weil der Auferstandene ihnen zuvor persönlich begegnet ist. Jemanden zu erkennen ist immer was Persönliches.

Wunderbar erzählt Lukas das in der Geschichte von den beiden Emmausjüngern (Lukas 24,13-25), eine der schönsten Geschichten der Bibel überhaupt, und eine, die klar macht, wie man sich die Auferstehung vorstellen muss. Er ging schon lange neben ihnen her, während sie miteinander über die Erlebnisse der letzten Tage sprachen. Den Begriff „Unterbewusstsein“ gibt es in der Bibel noch nicht. Aber wenn die beiden im Rückblick sagen: „Brannte unser Herz nicht, als er mit uns auf dem Weg war“, dann meinen sie das damit. Sie merkten nicht, dass es Jesus war, aber sie spürten, dass da was war. An der typischen Geste, wie er das Brot brach erkannten sie ihn – und zugleich begriffen sie, dass er anders da war. Nicht mit Fleisch und Blut, nicht in der Weise allen sterblichen Lebens, nicht mehr einem erneuten Sterben ausgeliefert, aber dennoch eindeutig erkennbar und wahrnehmbar. Es gab das was zu sehen und zu spüren, es war nicht unklar und diffus, es war unzweifelhaft. Es war Jesus. Sie kehren zurück zu den anderen und finden sie versammelt, und auch sie berichten: Der Herr ist auferstanden und Simon (also: Petrus) erschienen. Sie bestätigen sich gegenseitig, dass sie ihm, unabhängig voneinander, begegnet sind und ihn erkannt haben. So wurde, und das ist entscheidend, aus ihrem persönlichen Erleben ein objektives, von vielen bezeugtes Ereignis.

Die Folge davon war, dass die, die ihn erkannt haben, ihn nun auch für andere erkennbar gemacht haben. In ihren Erzählungen von Jesus, in den Worten Jesu, die sie zitierten und notierten, in den Gebeten, die sie im Namen Jesu an Gott richteten, in dem Mahl, dass sie feierten und bei dem sie in, mit und unter Brot und Wein Leib und Blut Christi teilten, in der Taufe auf seinen Namen machten sie Jesus für alle und öffentlich erkennbar. Jetzt fingen sie auch an darüber nachzudenken und zu verststehen, warum Jesus sterben musste. Sie entdeckten, was im 52. und 53. Kapitel im Buch des Propheten Jesaja zu lesen war, Jahrhunderte zuvor niedergeschrieben: „Er war der Allerverachtetste und Unwerteste. Er trug unsere Krankheit. Es ist um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihn, auf dass wir Frieden hätten. Er hat die Sünden der Vielen getragen.“ Was für sie rätselhaft war, lag nun klar vor ihren Augen. Sie sangen in ihrem Gottesdienst: „Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja, zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist.“ (Phil 2,8f.) Und Paulus, der später hinzukam, schrieb: „Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.“ (2. Kor 5,19).

Wir stehen vor der Frage: War das alles wirklich so? Kann man den Berichten von der Auferstehung Jesu von den Toten glauben schenken? „Ist Christus nicht auferweckt worden, so ist unsere Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich“, schreibt Paulus, um damit deutlich zu machen: Das Gott Jesus auferweckt hat, das steht im Zentrum, das ist das Herzstück und Fundament unseres Glaubens. Wir wollen das glauben, aber immer wieder mischen sich die Zweifel darunter. Wir haben den Glauben nie ohne die Zweifel. Was uns gelassen macht: Ob Jesus für uns gestorben ist und von Gott auferweckt worden ist: Das entscheiden nicht wir. Das ist entschieden. Das hängt nicht ab davon, ob wir’s glauben oder bezweifeln. Das ist so. Das kann niemand von uns nehmen. Das können wir nicht mehr in Gefahr bringen. Das steht für alle Zeiten felsenfest und unerschütterlich fest.

Das sollte in uns doch eine große und tiefe Gelassenheit hervorrufen. Jene Gelassenheit, die das Kennzeichen unseres christlichen Glaubens ist.

10.04.2020 Pfarrer Stephan Sticherling

 

 

 

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